War er’s, oder war er’s nicht? Das Demokratieverständnis von Thomas Mann (1875-1955) wurde und wird kontrovers diskutiert. Vom „späten Demokraten“ ist die Rede, von einem weniger politischen als vielmehr ästhetischen Grundverständnis demokratischer Gesellschaftsordnung. Opportunismus warfen ihm seine Kritiker zu Lebzeiten vor.
Aus Anlass des 150. Geburtstages des deutschen Schriftstellers ist am 5. Februar im Gans Verlag (Berlin) eine weitere Publikation erschienen, die sich dem Thema widmet. In dem Essayband „Es lebe die Republik!“ geht der Tübinger Autor, Kurt Oesterle, der politischen Entwicklung Manns anhand wenig bekannter politischer Essays nach. „Der Verfasser von ‚Der Zauberberg‘ und ‚Tod in Venedig’ wandelte sich von einem Vertreter obrigkeitsstaatlichen Denkens zu einem der gewichtigsten Fürsprecher der Demokratie seiner Zeit“, bilanzierte Oesterle im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
„Ich beschäftige mich seit über drei Jahrzehnten mit seinen politischen Schriften“, sagte der Autor. Auszüge einiger dieser Abhandlungen sind dem Essayband angehängt. Auf seinem Weg der „Selbstdemokratisierung“ sei Mann, so Oesterle, den Deutschen „beispielhaft“ vorangegangen. Über mehrere Stufen sei der bekannte deutsche Schriftsteller vom „Unbehagen über die Gleichgültigkeit der Massen zum Sozialismus und schließlich zum demokratischen Selbstverständnis“ gelangt. Dessen tiefsten Grund habe Thomas Mann im christlichen Humanismus gefunden, den er im Exil in den USA kennenlernte.
„Mann begriff Demokratie als eine Erfahrung, ein Erlebnis, das die Tiefe der Persönlichkeit braucht“, führte Oesterle aus. „Demokratie war für ihn eine Art Gemeinschaftlichkeit, die weit über das hinaus geht, was man politische Organisationen nennt“, sagte er. In Manns Verständnis sei Demokratie vielmehr eine Art „Selbstkultur im Umgang mit anderen“ gewesen, die immer die eigene Person einbezog. Während der Nürnberger Prozesse etwa habe Thomas Mann stets betont, „die Vorwürfe musst du auch auf dich beziehen“.
Thomas Mann sei getrieben gewesen von Schuldgefühlen. „Er war überzeugt davon, dass er Anteil hatte an dem Geschehen, das in die Katastrophe führte. Das wollte er wiedergutmachen“, sagte Oesterle. Am allerweitesten sei er jedoch beim Umgang mit Homosexualität gegangen. Thomas Mann gehörte 1922 zu den Unterzeichnern der Hirschfeld-Petition zur Abschaffung des § 175 Reichsstrafgesetzbuch, das homosexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte. Er war, wie kaum ein anderer Schriftsteller des 19. und 20. Jahrhunderts, eine Identifikationsfigur für homosexuelle Männer. Seine eigene Homosexualität lebte er nie aus, sondern verarbeitete sie unter anderem in der Novelle „Tod in Venedig“.