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Das Kino-Comeback – Tom Tykwer meldet sich mit “Das Licht” zurück

Mit “Das Licht” meldet sich Tom Tykwer zurück. Seit 2016 hat er nicht mehr fürs Kino inszeniert, sondern mit “Babylon Berlin” TV-Seriengeschichte geschrieben. Sein neues Werk eröffnet am Donnerstag die Berlinale.

Ein trüber Tag im November 2023 in Potsdam. Nur in Halle 20 im Studio Babelsberg herrscht geschäftiges Treiben. Hier steht Deutschlands größter Tank für Aufnahmen unter Wasser – vier Meter tief, gefüllt mit 500.000 Litern. Über die grün glitzernde Oberfläche sind Seile gespannt, an denen sich die in Neopren gehüllten Schauspieler in den Pausen festhalten können, damit sie nicht ständig Wasser treten müssen. Es lohnt sich für Nicolette Krebitz und Lars Eidinger nicht, für jeden Take den Tank zu verlassen.

Auf Bildschirmen am Rand kann Tom Tykwer kontrollieren, welche Bilder die Unterwasserkameras einfangen. Es ist der 30. Drehtag von “Das Licht”, Tykwers erstem Kinofilm seit “Ein Hologramm für den König” (2016). Und hier entsteht das Finale: die Szenen in der Zelle, die von eindringendem Wasser bis zur Decke geflutet wird – eine bewusste oder unbewusste Anspielung auf Fritz Langs “Das Testament des Dr. Mabuse”.

Es ist eine spektakuläre Szene, wie Tykwer, der im Mai 60 wird, sie noch nie gedreht hat. Immerhin macht er seit seinem zwölften Lebensjahr Filme; der erste hieß “Kampf der Giganten”: Godzilla kam von der einen Seite ins Bild, King Kong von der anderen. Im Verlauf des Kampfs explodierte ein Haus. “Lola rennt” (1998) stand für den Aufbruch weg vom satten Beziehungskino der West-Republik, die noch nicht begriffen hatte, dass die Zeit der Komödien bald vorbei sein würde. Bis heute ist “Lola rennt” der meistzitierte und -analysierte deutsche Film nach denen von Fassbinder.

Tykwer drehte den ersten als Blockbuster geplanten deutschen Film: “Das Parfum”. Und er stand hinter dem teuersten deutschen Film aller Zeiten: “Cloud Atlas”. Und er gab zehn Jahre seines Lebens für die teuerste und erfolgreichste deutsche Fernsehserie: “Babylon Berlin”.

Dabei ist der wichtigste Meilenstein noch gar nicht erwähnt: Die Gründung der Firma X-Filme im Juli 1994. Ein paar Jahre lang hatten sich Berliner Regisseure regelmäßig getroffen und über die Probleme der Szene geredet – oder eher gejammert. Dann taten sich die Jungregisseure Dani Levy, Wolfgang Becker und Tom Tykwer mit Produzent Stefan Arndt zusammen. Sie legten die Latte hoch und wollten die deutschen United Artists werden, nach dem Vorbild von Chaplin, Griffith, Pickford und Fairbanks, die 100 Jahre zuvor ihre künstlerischen und finanziellen Interessen in die eigene Hand genommen hatten, um unabhängig von den Kommerz-Studios zu sein.

Dani Levy legte mit dem ersten X-Film “Stille Nacht” vor, Wolfgang Becker folgte mit “Das Leben ist eine Baustelle” und schließlich Tom Tykwer mit einem Doppelschlag: “Winterschläfer” 1997 und “Lola rennt” 1998.

“Winterschläfer” war ein Generationsporträt von 30-Jährigen, die nicht wissen, was sie wollen, gezeichnet von dem gerade 30 gewordenen Autodidakten Tykwer, der sehr genau wusste, was er will. Er ordnete seinen vier Protagonisten (Ulrich Matthes, Marie-Lou Sellem, Heino Ferch, Floriane Daniel) Signalfarben zu und ließ sie zufällig und schicksalhaft und schuldhaft aufeinandertreffen.

“Lola rennt” hingegen ist ein existenzielles Videospiel: drei Varianten der gleichen Geschichte, ein Gedankenexperiment über die Zeit, den Raum und den Zufall. Es gibt, sagt der Film, nur eine kleine Chance, dem vorbestimmten Schicksal zu entkommen, aber es lohnt sich, es zu versuchen.

Den Hype, der sich um “Lola” entwickelte, kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Zweieinhalb Millionen Besucher liefen in Deutschland in diesen kleinen Experimentalfilm. Kraft-Ketchup verkaufte sechs Millionen Flaschen mit dem Abbild der rothaarigen Lola. Chefredakteure verboten ihren Journalisten irgendwann Varianten des Titels in Überschriften (“Lola pennt”, “Lola spinnt” etc.). Franka Potente zierte das Titelbild von “Time Out”. CAA, die mächtigste Talentagentur der Welt, nahm Tom Tykwer unter Vertrag.

Er blieb aber in Deutschland, eingebettet in die X-Familie, und beging nicht den Fehler vieler deutscher Hollywood-Touristen, als Einzelkämpfer dorthin zu fahren. Der erste post-“Lola”-Film entstand in seiner Heimatstadt Wuppertal: “Der Krieger und die Kaiserin” ist heute der unbekannteste Tykwer-Film, obwohl er viele später immer wiederkehrende Motive in sich vereint.

“Heaven” war Tykwers erste internationale Produktion mit Cate Blanchett als Lehrerin, von deren Schülern mehrere an Drogen sterben. Sie beschließt, selbst für Gerechtigkeit zu sorgen und legt eine Bombe im Büro des Drogenchefs. Doch der Zufall will es, dass vier Unschuldige getötet werden. Sie wird gefasst – und während der Verhöre verliebt sich ein Polizist in sie. Noch eine von Tykwers unmöglichen Lieben.

Dann begab er sich – zum Unmut mancher seiner Anhänger – in die Hände des Populärproduzenten Bernd Eichinger, der es endlich geschafft hatte, Patrick Süskind die Filmrechte an dessen “Parfum”-Roman abzuluchsen. Und der Tom Tykwer richtig einschätzte: als einen Filmbesessenen, der durchaus Lust hatte, opulent und populär zu arbeiten. Tykwer bekam 50 Millionen Euro für den bis dahin teuersten deutschen Film aller Zeiten, Dustin Hoffman und Alan Rickman sowie die Altstadt von Barcelona als mittelalterliches Paris – und es gelang ihm wirklich, mittels Tönen und Musik und Worten und Bildern eine Annäherung an das herzustellen, worum es bei Süskind geht: um einen Duft.

Er lernte jedoch auch, dass es 50 Millionen nicht ohne Zugeständnisse an das Publikum gibt. Der Serienmörder Grenouille ist bei ihm nicht radikal abartig, sondern Tykwer deutet an, dass zwischen ihm und einem Blumenmädchen (Karoline Herfurth) eine Liebe erblühen könnte. Selbst dieses Monster gehört in die Tykwersche Reihe von Getriebenen, die nur ihrem eigenen moralischen Kodex folgen können.

Mit “Parfum” begann Tykwers “internationale Periode”, gekennzeichnet durch Stars und Budgets, von denen deutsche Regisseure sonst nur träumen können. “The International” (2008) mit Clive Owen und Naomi Watts kostete 50 Millionen Euro und blieb vor allem durch seine Actionszenen in Erinnerung; die spektakulärste spielte in dem in Berlin nachgebauten Guggenheim Museum in New York.

“Cloud Atlas” mit Tom Hanks, Hugh Grant und Halle Berry lag 2012 schon bei 100 Millionen, war erneut der teuerste deutsche Film, und die Branche machte sich Sorgen, ob X-Filme diesen finanziellen Kraftakt überstehen würde. X überlebte, dank der deutschen Förderung, Warner Bros. und einer Reihe von asiatischen Investoren.

“Cloud Atlas” ist der unpersönlichste Film von Tom Tykwer, und der am schwierigsten zu erklärende Film der Blockbuster-Geschichte, ein riesiges historisches Panorama vom 19. bis ins 24. Jahrhundert. Trotzdem finden sich Tykwer-Spuren darin, etwa die von der Möglichkeit der Wiedergeburt. Hugh Grant wird dreimal reinkarniert, als Befürworter der Sklaverei, Atom-Lobbyist und sexueller Ausbeuter. Bei Tykwer findet man stets eine ganze Reihe metaphysischer Elemente – von den drei Leben der Lola über das Ende von “Heaven”, wenn das Liebespaar per Hubschrauber immer höher in den Himmel fliegt, bis zu den Seelen von Toten in “Das Licht”, die nur loslassen können, wenn Freunde sie begleiten.

Schließlich entstand 2016 “Ein Hologramm für den König” für sparsame 35 Millionen, wieder mit Tom Hanks, eine Komödie der geistigen Wiedergeburt in einer fremden Umgebung, hier Saudi-Arabien. Es war der erfolgloseste aller Tykwer-Filme, womit die “internationale Periode” auch an ihr Ende gekommen war. Zeit, an den Ursprung zurückzukehren.

Und dann kam “Babylon Berlin”: Die letzten Jahre der Weimarer Republik bis zu Hitlers Machtergreifung in fünf Staffeln und 48 Folgen, mit einem riesigen Figurenensemble und beinahe jedem bekannten Schauspieler unter der deutschen Sonne, eine Herkulesarbeit. Das Serien-Ereignis der jüngeren deutschen Fernsehgeschichte – und mehr als das: Anfangs hatte Tykwer immer den historischen Charakter der Serie betont und Parallelen zur Gegenwart heruntergespielt. Inzwischen ist er da wohl nicht mehr so sicher.