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Was für ein Irrsinn

Datenschutz ist dringend notwendig. Aber die neue Datenschutzgrundverordnung DSGVO sorgt für Chaos. Und an den eigentlichen Problemen geht sie schlicht vorbei

Wollen Sie mal Ihren Arzt erschüttern? Den Dachdeckermeister um die Ecke? Die Vorsitzende des örtlichen Turn- und Sportvereins? Dann sagen Sie ihnen diese fünf Buchstaben: DSGVO.

DSGVO: Vor diesen fünf Buchstaben zittert derzeit das Land. Dahinter verbirgt sich die „Datenschutzgrundverordnung“ der Europäischen Union, die seit dem
25. Mai auch in Deutschland gilt. Und sie ist ein Musterbeispiel für bürokratischen Irrsinn.

Dabei ist die Grundidee durchaus lobenswert: der Schutz personenbezogener Daten. Das klingt gut und ist in Zeiten des Wildwuchses von Marketing, Internet und vor allem Social Media bitter notwendig. Beispiele?

Da sind diese Anrufe von Firmen, von denen Sie noch nie gehört haben, die Ihnen aber unbedingt etwas aufdrängen wollen. Woher haben die Ihre Adressdaten?
Facebook: Sie wundern sich, wie es das Unternehmen schafft, Ihnen ständig Angebote einzublenden, die genau für Ihre Interessen abgestimmt sind. Woher wissen die, dass Sie im Urlaub nach Skandinavien fahren wollen? Oder dass Gartenarbeit Ihr Hobby ist?

Und, besonderer Dorn im Auge der Datenschützer: WhatsApp. Die beliebte Plauder-Ecke, die mittlerweile quasi fast auf jedem Smartphone installiert sein dürfte, greift unkontrolliert auf Kontaktdaten im Adressbuch des Handys zu.

Die Entwicklung in den vergangenen elf Jahren – da kamen die Smartphones auf den Markt – war rasant. Immer neue Technik, Programme, Apps. Die Entwickler tüftelten schneller, als der Gesetzgeber hätte nachkommen können. Hier musste etwas geschehen.

Insofern: guter Ansatz.

Dann aber kam die DSGVO. Und das Kind wurde mit dem Bade ausgeschüttet. Man kann nur vermuten: Eine Mischung aus Halbwissen und EU-typischer Regelungswut traf auf Sorglosigkeit und Aussitz-Mentalität in den Mitgliedsländern.
Auch in Deutschland. Es lief eine Übergangsfrist von zwei Jahren; die aber wurde von der Politik verpennt. Es gab zarte Hinweise in die Öffentlichkeit. Aber wie dringlich die Angelegenheit werden würde, was für Strafen da drohen? Fehlanzeige.
Und so stöhnt jetzt die Ärztin, schreibt alle ihre Patientinnen und Patienten an, lässt sie Datenschutzformulare ausfüllen und unterschreiben. Dann lässt sie die Dokumente einscannen, sichern, das Papier vernichten.

Der Dachdecker kramt Visitenkarten seiner Kunden und Geschäftspartner hervor und überlegt, was er damit machen muss. Zeitungen (auch UK) ringen mit der Frage, ob sie Geburtstage noch veröffentlichen dürfen.

Vereine schließen vorsorglich ihre Homepages, weil sie sich mit den bisherigen Gästebüchern und Online-Rundbriefen eventuell strafbar machen könnten.
Auch Kirchengemeinden sind betroffen. Obwohl sie teilweise unter ein kirchliches Sonderrecht fallen, gilt der größte Teil der DSGVO natürlich auch für sie.

Gemeindebrief online? Beim Bäcker auslegen? Fotos vom letzten Gemeindefest veröffentlichen?
Chaos. Unsicherheit. Selbst Experten stammeln. Die einzigen, die sich freuen dürfen, sind die Abmahn-Kanzleien; Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die fleißig Ausschau halten nach potenziellen Opfern.

Fazit? Ein Gesetz, das
• Unklarheit schafft
• verunsichert
• die konkrete Ausgestaltung der Rechtslage dem Prinzip „schaunmermal“ überlässt
• bisher rechtschaffene Bürgerinnen und Bürger in Gefahr bringt, ungewollt kriminell zu werden – so ein Gesetz ist ein schlechtes Gesetz.

Es stimmt: Die digitale Welt ist immer noch Pionierland. Da gibt es viel zu entdecken, zu staunen und zu lernen. Gerade auch aus den Fehlern. Zu den Fehlern zählt ganz offenbar Unternehmenspolitik à la Facebook und Co. Aber gerade hier, beim eigentlichen Ausgangspunkt der Gesetzesinitiative, wird kaum Nennenswertes geschehen. Diese international agierenden Konzerne sind mit europäischem Datenschutzrecht – das zeichnet sich ab – kaum zu packen.
Und noch gar nicht im Blick sind dabei die schlimmsten Übeltäter der neuen digitalen Weltordnung: Sicherheitsbehörden und Geheimdienste. Ihre haarsträubenden und völlig unverfrorenen Beutezüge im weltweiten Netz digitaler Informationen werden nicht einmal ansatzweise angefragt.

So ein Gesetz braucht niemand. Also: Nachbessern, bitte! Datenschutz ist notwendig. Aber dann: konkreter. Klarer. Wenn selbst Expertinnen und Experten sich nicht trauen, verlässliche und belastbare Aussagen zu machen: Dann läuft etwas ganz schrecklich falsch.