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Bundesweit mehr Gewalt gegen Lehrkräfte – “Abbild der Gesellschaft”

“Das soziale Klima in der Gesellschaft ist rauer geworden – und das spiegelt sich auch an den Schulen wider”, betont der Bildungsverband VBE. Vorfälle von Gewalt gegen Lehrkräfte nähmen zu – psychisch wie physisch.

Es ist ein alarmierender Befund: Psychische und körperliche Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer haben einer neuen Studie zufolge bundesweit zugenommen. “Das soziale Klima in der Gesellschaft ist spürbar rauer geworden – und das spiegelt sich auch an den Schulen wider”, sagte der Bundesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand, am Freitag in Stuttgart vor Journalisten. Im Auftrag des Verbands hatte das Sozialforschungsinstitut Forsa vom 11. September bis 9. Oktober 2024 bundesweit 1.300 Schulleitungen befragt.

Laut der repräsentativen Umfrage berichten 65 Prozent der Schulleitungen bundesweit, dass es in den vergangenen fünf Jahren zu Fällen kam, in denen Lehrkräfte direkt beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt wurden. 2018 habe dieser Wert noch bei 48 Prozent gelegen.

Gravierend sei auch die Entwicklung bei körperlichen Übergriffen gegen Lehrkräfte: 36 Prozent der Schulleitungen bundesweit berichteten von solchen Vorfällen, während es 2018 noch 26 Prozent gewesen seien, so Brand. “Hochgerechnet auf die Grundgesamtheit kam es allein in Baden-Württemberg binnen fünf Jahren an rund 1.000 Schulen zu körperlichen Angriffen auf Lehrkräfte”, erklärte der VBE-Chef, der auch Landesvorsitzender des Bildungsverbandes in Baden-Württemberg ist. Dies bedeute, “dass an jedem einzelnen Schultag in Baden-Württemberg mindestens eine Lehrkraft körperlich attackiert wird”.

Die Umfrage zeige auch, dass körperliche Attacken meist von Schülerinnen und Schülern ausgingen, psychische Gewalt und Cybermobbing hingegen häufig auch von Eltern verübt werde. 36 Prozent der bundesweit befragten Schulleitungen berichteten davon, dass Lehrkräfte ihrer Schule Opfer von Cybermobbing wurden (2018: 20 Prozent).

Respekt und Empathiefähigkeit seien geringer geworden, so Brand. “Schule ist ein Abbild der Gesellschaft”, betonte der VBE-Bundesvorsitzende. Die Wurzeln für Gewalt an Schulen lägen in der Gesellschaft, in der es inzwischen eine Bereitschaft gebe, “sich radikaler zu positionieren”, in der sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffne und in der der “soziale Kitt” schwinde. “Das alles tragen die Schülerinnen und Schüler mit in die Schule hinein.”

Brand ermutigte dazu, Gewaltvorfälle in der Schule zu melden. Dieses Thema dürfe kein Tabuthema sein. Doch fast ein Fünftel der Schulleitungen berichte, dass die Meldung von Gewaltvorfällen seitens der Schulbehörde nicht gewünscht sei. “Anstatt das Thema offen anzugehen und die dringend benötigte Unterstützung anzubieten, wird ein Klima geschaffen, in dem Lehrkräfte und Schulleitungen sich vor einem Reputationsverlust ihrer Schule fürchten müssen, wenn sie Gewaltvorfälle melden”, sagte der VBE-Vorsitzende. Das sei ein “Armutszeugnis für den Dienstherrn”.

Nötig seien nicht nur psychologische Angebote, sondern auch eine juristische Vertretung. “Bis heute gibt es bei Gewaltvorfällen gegen Lehrkräfte keine Anzeige von Amts wegen, stattdessen werden Lehrkräfte mit dem Problem allein gelassen und müssen privat Anzeige erstatten”, kritisierte Brand.

Auch Anne Deimel, Landesvorsitzende des VBE Nordrhein-Westfalen, forderte verstärkte Kraftanstrengungen, um das “komplexe Problem” der Gewalt an Schulen zu lösen. “Die Schule ist ein Raum des Rechts, den es zu schützen gilt.”