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Buchtipp: Walter Homolka über „Krieg und Frieden im Judentum“

In seinem neuen Buch wirft der Rabbiner und Potsdamer Hochschulprofessor Walter Homolka einen Blick auf die Friedensphilosophie des Judentums.

Die Quintessenz des Autors: Es geht in der jüdischen Religionsphilosophie und den Auslegungen der Schriften immer wieder darum, dem Frieden nachzujagen
Die Quintessenz des Autors: Es geht in der jüdischen Religionsphilosophie und den Auslegungen der Schriften immer wieder darum, dem Frieden nachzujagenVerlagsgruppe Patmos

Während diese Rezension erscheint, befindet sich Israel im Krieg. Seit dem 7. Oktober 2023 ist in dem Staat im Nahen Osten nichts mehr, wie es einmal war. Der Überfall der Hamas auf das Supernova-Festival, das Massaker von Reʿim, zahlreiche Grausamkeiten in nahen Kibbuzim, aber auch die Reaktion des Staates Israel und seiner Staatsgewalt änderten den Verlauf der Welt. Doch in welchem Verhältnis stehen das Judentum und der Krieg, in welchem Verhältnis stehen das jüdische Volk und der Frieden?

In seinem neuen Sachbuch „Krieg und Frieden im Judentum“, im Januar 2025 veröffentlicht, setzt sich Walter Homolka damit auseinander. Wenngleich er aufgrund verschiedener und inzwischen entkräfteter Anschuldigungen seine Stellung als Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs, dem Rabbinerseminar in Potsdam, aufgeben musste, ist seine wissenschaftliche Expertise unbestritten.

Auf der Suche nach Antworten: Walter Homolka seziert jüdische Schriften

Mit genau dieser Expertise widmet Homolka sich auf den 121 Seiten, plus ausführlicher Bibliografie, der Frage nach Krieg und Frieden. Oder besser: Er seziert das Judentum und die Schrift auf der Suche nach Antworten zu deren Verhältnis. Dabei beginnt das Buch schon in seiner Einleitung mit Psalm 34, 15 – der Jahreslosung aus 2019. „Vom Bösen lass ab und tue Gutes, such Frieden und jag ihm nach“, zitiert Walter Homolka aus der Hebräischen Bibel in revidierter Übersetzung von Rabbiner Ludwig Philippson. Und genau in diesem Nachjagen versucht sich auch der Autor.

Chronologisch arbeitet er sich dabei vor, beginnend bei der Frage nach einem „Gerechten“ Krieg, über die Auslegungen der Tora bis hin zu den Denkern der Jüdischen Moderne wie Leo Baeck oder Samson Raphael Hirsch. Dabei zitiert Homolka immer wieder Rabbiner und Wissenschaftler. Er definiert mit ihnen den Begriff des „Shalom“ und zeigt schon zu Anfang die enge Verbindung der semitischen Sprachen und zwischen den Zeilen auch das lange Zeit friedliche Miteinander der Mittelmeerkulturen. Wer sich durch das bisweilen sehr akademische Werk mit seinen insgesamt 248 Quellenverweisen liest und auf Seite 112 ankommt, für den ist klar: Das Judentum ist eine absolute Friedensreligion.

Dem Frieden nachjagen: Homolka über die jüdische Religionsphilosophie

Homolka gestattet Exkurse zum Tierfrieden, betrachtet die ultraorthodoxe religiöse Strömung des Chassidismus und zitiert immer wieder aus dem Talmud. Die Quintessenz des Autors: Es geht in der jüdischen Religionsphilosophie und den Auslegungen der Schriften immer wieder darum, dem Frieden nachzujagen. Mit dem Kapitel zum „Kriegsdienst als Ehrendienst“ verändert sich diese Grundlage. Die Entstehung des Staates Israel als zunächst demokratisch orientierter Staat führt zu einem Versuch, den Staat des jüdischen Volkes wehrhaft zu machen. Und auch wenn Walter Homolka die Doktrin der Israelischen Armee (IDF) mit ihrem Aufruf zu Menschlichkeit und Menschenwürde zitiert, er versucht die Frage nach dem „Gerechten Krieg“ zwischen den Zeilen weiter zu stellen und zu fassen.

Immer wieder scheint diese innere Auseinandersetzung des Autors durch sein Werk zu blitzen, erstaunlich wenig ist in dem Buch vom Krieg die Rede, erstaunlich viel betont Homolka die Friedfertigkeit des Judentums, die Aufrufe der Gelehrten und bisweilen das Ignorieren dieser Aufrufe durch die Anhängerinnen und Anhänger. Dass ausgerechnet das letzte Kapitel mit dem Zitat „Frieden ist die einzige Option“ überschrieben ist, erscheint daher nur folgerichtig. Wer also den Frieden im Judentum sucht, dem sei dieses Buch aufrichtig ans Herz gelegt. Und dennoch muss nun, im vorletzten Absatz dieser Rezension, auch noch einmal ein kleiner Spritzer Wasser in den Wein gegossen werden. Obwohl die religiösen, halachischen und philosophischen Diskurse des Autors ihre Berechtigung haben, bleibt die Frage, inwiefern die im Buch wiederholt thematisierte Nation beziehungsweise das Nationale im Kontext des Volkes Israel bereits lange vor der Staatsgründung als solches begriffen werden können.

Nahost-Konflikt: Walter Homolka regt mit seinem Buch zum Denken an

Auch die von Homolka auf 1948 gelegte und so benannte Wiedererstehung des Staates Israel ist vor dem geschichtlichen Hintergrund der eigentlichen Staatsgründung durch David Ben-Gurion mindestens fragwürdig. Aber Walter Homolka ist Professor für Jüdische Religionsphilosophie und kein Politikwissenschaftler und so lassen sich derartige Schnitzer, wenngleich bemerkenswert, vor dem Gesamtwerk und seinen tiefen Einblicken in die Friedens- und Kriegsdebatte leichter verzeihen.

Zu hoffen ist, dass das Buch nicht nur bei den Friedfertigen Anklang findet, sondern auch jene zum Denken anregt, deren Lösung des Nahost-Konflikts mit Menschenverachtung und Angriffen auf Zivilbevölkerung (aller Seiten) einhergeht. Für sie ist Krieg und Frieden im Judentum wie gemacht und bietet ein Kompendium an Thesen und Auslegungen, das sonst nur schwer zu finden ist.

Walter Homolka, Krieg und Frieden im Judentum, Patmos Verlag, Ostfildern 2025