Friederike Krippner steht über den Dächern Berlins, auf Augenhöhe mit dem Sims der Französischen Friedrichstadtkirche, im Hintergrund der Fernsehturm. Diese altehrwürdige Hugenottenkirche ist für die Direktorin der Evangelischen Akademie zu Berlin die „Dienstkirche“ – viele Veranstaltungen der Akademie finden hier statt. Seit ihrer Fertigstellung bis heute begegnen sich hier Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Gesellschaft und Kirche bei Gottesdiensten, Konzerten und Veranstaltungen. Einer von Friederike Krippners Schwerpunkten sind – passend zur Wirkungsstätte – Fragen zur Stärkung der Demokratie.
Die Evangelische Akademie zu Berlin besteht in ihrer heutigen Form seit dem 12. September 1999 in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH, Gesellschafterin ist neben der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Das Haus der EKD am Gendarmenmarkt war zu DDR-Zeiten der Sitz der Ost-CDU, seit dem Jahr 2000 agiert hier die Evangelische Akademie zu Berlin. Ein zweiter Standort ist das Tagungshaus auf Schwanenwerder, einer Halbinsel im Wannsee.
Friederike Krippner macht ein Praktikum an der Evangelischen Akademie Tutzing
Eine Anstellung in der Evangelischen Kirche ist Friederike Krippner nur bedingt in die Wiege gelegt worden, eine Leitungsposition vielleicht schon eher. Sie wird 1982 in Bochum als drittes Kind geboren, der Vater ist Arzt, ihre Mutter Richterin. Bald nach ihrer Geburt verlässt der Vater seine Frau und die drei gemeinsamen Kinder. Friederike Krippner wird getauft und konfirmiert. Ihre beste Freundin in der Schule ist Ruth Ebach, die Tochter des Bochumer Theologieprofessors Jürgen Ebach, heute selbst Professorin in Lausanne. Mit ihm diskutiert sie leidenschaftlich theologische Fragen.
Nach dem Abitur möchte sie Schauspielerin oder Dramaturgin werden, für das Pfarramt fühlt sie sich nicht gläubig genug. Sie studiert Germanistik, evangelische Theologie und Geschichte. Als Stipendiatin des Evangelischen Studienwerkes Villigst lernt sie den politischen Protestantismus kennen. Sie fängt an, sich in der evangelischen Kirche zu engagieren, arbeitet mit in der stipendiatischen Vertretung im Studienwerk, absolviert ein Praktikum an der Evangelischen Akademie Tutzing. Und sie merkt: Diese Welt könnte ihre sein.
Berufsbegleitendes Studium im Fach Kulturmanagement für Krippner
Sie jobbt am Theater und erlebt es als wenig feministisch, als hierarchisch und sexistisch. Nach dem Studium schreibt sie eine Dissertation in Germanistik. Sie ist zu diesem Zeitpunkt wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sonderforschungsbereich „Transformationen der Antike“ an der Humboldt-Universität zu Berlin. Dort wird sie 2014 mit einer interdisziplinären Arbeit zu Altertumsinszenierungen im Drama und auf der Theaterbühne des 19. Jahrhunderts promoviert. Und sie wird Mutter: Im Jahr 2013 schenkt sie ihrer Tochter Selma das Leben, im Jahr 2016 ihrer Tochter Karla.
Nach der Promotion arbeitet sie als Koordinatorin für die Gründung des Zentralinstituts für Katholische Theologie an der Humboldt-Universität und als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Ein Coaching für Frauen im Wissenschaftsbereich öffnet ihr die Augen für ihren weiteren beruflichen Weg: Sie reflektiert darüber, was relevant ist in ihrem Leben, wofür ihr Herz brennt. Die Antwort, die sie findet: Politik und Gesellschaft. Also beginnt sie ein berufsbegleitendes Studium im Fach Kulturmanagement an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. In Praxisseminaren lernt sie das, was heute ihr tägliches Geschäft ist: Kommunikation und moderne Führungsqualitäten.
2020 wird Friederike Krippner Direktorin der Evangelischen Akademie zu Berlin
Im August 2020 wird Friederike Krippner zur Direktorin der Evangelischen Akademie zu Berlin berufen. Sie erlebt in dieser Funktion, dass Frauen häufig anders als Männer führen – nicht, weil sie bessere Menschen seien, sagt sie. Sondern weil Diversität für jede Organisation wichtig und richtig sei, nicht nur in Bezug auf die Geschlechter, sondern auch in Bezug auf berufliche Hintergründe, Nationalitäten und vieles andere mehr.
Sie legt Wert darauf, die intrinsische Motivation aller Kolleg:innen zu fördern – seien es Studienleiter:innen, Verwaltungskräfte, Organisationsteammitglieder oder Assistent:innen. Gleichzeitig möchte sie diejenige sein, die „den Laden zusammenhält“. Wichtig sind ihr gesellschaftliche Gerechtigkeit, der interreligiöse Dialog, das Eintreten für eine plurale und weltoffene Demokratie. Als Leiterin der Evangelischen Akademie zu Berlin verfolgt sie eine Vision, die auf Offenheit, Dialog und Innovation basiert. Sie glaubt fest daran, dass nachhaltige Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen nur durch gemeinsames Handeln und den Austausch vielfältiger Ideen gefunden werden können.
Akademie-Leiterin erlebt Solidarität zwischen Frauen
Immer wieder schlägt ihr das Vorurteil entgegen, sie habe diese Stelle bekommen, weil sie eine Frau und bei Amtsantritt noch relativ jung sei. Im Bereich der Direktor:innen an Evangelischen Akademien sind Frauen deutlich unterrepräsentiert. Doch sie erlebt eine sehr starke Solidarität zwischen Frauen, seit sie im Raum der Kirche arbeitet. Da sie ganz anders sozialisiert sei, sei sie zunächst skeptisch gegenüber den Frauentreffen auf Synoden und anderen Gremien gewesen, sagt sie. Aber sie sei eines Besseren belehrt worden: Ganz oft seien das die konstruktivsten und vor allem konkurrenzlosesten Treffen. An der Universität hatte sie sich immer gewünscht, dass Frauen dem „Buddy-System“ der Männer einfach weibliche Unterstützung und Solidarität entgegensetzen. Das habe sie so in der Kirche bisher überwiegend erlebt – und zwar auch zwischen Frauen in Leitungspositionen, insbesondere im Raum der EKBO.
Im nächsten Jahr hat sie sich mit ihrem Team als Jahresthema „Familie“ vorgenommen. In der evangelischen Kirche sieht sie noch viel Platz für neue und andere Leitbilder, für ein Neuentdecken der zahlreichen biblischen Texte, die eine enorme Vielfalt von Lebensformen bereithalten.
Ihre eigene Lieblingsbibelstelle ist die Erzählung vom Schweigen der Freunde Hiobs angesichts von Hiobs Leid. Ab einem gewissen Punkt stellen sie keine Fragen, geben keine Ratschläge, sondern halten schweigend das Leid mit ihm an seiner Seite aus. Sie akzeptieren, dass das Leben Brüche und Ambivalenzen umfasst. Ja, so sagt Friederike Krippner, man muss mit Gott auch streiten dürfen, um mit Gott in eine echte Beziehung gehen zu dürfen. Denn das hatte sie in ihrer Kindheit bei einem charismatischen Pfarrer in ihrer Ortsgemeinde anders erlebt. Der hatte die Menschen klein gemacht, da nur Gott so groß sein könne.
“Es braucht mehr denn je Orte des guten Streits”
Friederike Krippner sagt über ihre „Mission“: „Die Geburt des Protestantismus ist eng verbunden mit einer neuen Streitkultur. Ich glaube, dass es heute mehr denn je Orte des guten Streits braucht; Orte, an denen wir einander begegnen und uns anderen Meinungen und Ansichten aussetzen. Die Evangelische Akademie zu Berlin als einen Ort der Streitkultur zu bewahren und immer wieder neu zu erfinden – das ist meine große Freude.“ Und das Konzept geht auf: Seit ihrem Amtsantritt haben sich die Zahlen der Teilnehmenden – gegenüber 2018 zum Beispiel um über 200 Prozent – gesteigert.
Friederike Krippner engagiert sich in diversen Gremien und Institutionen: Sie ist Mitglied der EKD-Synode und stellvertretende Vorsitzende des Zukunftsausschusses. Auch in der Landessynode der EKBO ist sie Synodale und hat dort den Vorsitz des Ständigen Ausschusses Ökumene, Mission und Dialog inne. Sie wirkt in vielen weiteren Gremien, mit, zum Beispiel als Co-Vorsitzende der EKD-Friedenswerkstatt, als Vorstandsmitglied der Evangelischen Akademien in Deutschland und als Mitherausgeberin der evangelischen Monatszeitschrift „zeitzeichen“. Außerdem engagiert sie sich als Mitglied des Kuratoriums der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V., als Mitglied des Missionsrates des Berliner Missionswerkes, als Mitglied im Kuratorium der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Berlin e.V., als Mitglied im Kulturbeirat der EKBO und als Mitglied im Kuratorium der Stiftung Garnisonkirche Potsdam.
Rajah Scheepers ist Hauptpastorin der deutschsprachigen Sankt-Petri-Gemeinde in Kopenhagen und außerplanmäßige Professorin für Kirchengeschichte in Marburg. Sie recherchiert seit mehreren Jahren über Theologinnen in der EKBO.