Nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien trifft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) vorerst keine Entscheidungen über Asylanträge von geflüchteten Syrerinnen und Syrern. Die Lage in Syrien sei „unübersichtlich und schwer zu bewerten“, teilte das Amt am Montag mit. Je nach Entwicklung in dem Land werde das Bamf seine künftige Entscheidungspraxis überprüfen und anpassen. Nach einem Bericht des „Spiegel“ geht es um rund 47.000 Asylanträge. Das Bundesamt äußerte sich dazu nicht.
Amnesty International bezeichnete die Entscheidung des Bamf als „völlig falsches Signal“. Schutzsuchende dürften nicht alleingelassen werden, bis das Auswärtige Amt und das Bundesamt die Entscheidungspraxis an die neue Lage angepasst hätten.
In Deutschland hat mit dem Ende des Assad-Regimes eine Debatte über den Umgang mit syrischen Flüchtlingen begonnen. Während Unionspolitiker einen Aufnahmestopp und baldige Rückführungen forderten, warnten SPD und Grüne vor einem solchen Schritt, weil er zu früh käme. Angesichts der unübersichtlichen Lage in Syrien seien „konkrete Rückkehrmöglichkeiten im Moment noch nicht vorhersehbar und es wäre unseriös, in einer so volatilen Lage darüber zu spekulieren“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Dem Innenministerium zufolge leben knapp eine Million Syrerinnen und Syrer in Deutschland, die Mehrzahl als international anerkannte Flüchtlinge oder Bürgerkriegsflüchtlinge. Eine Sprecherin sagte, rechtlich sei es möglich, ihren Schutzstatus in Deutschland zu widerrufen. Doch dafür sei wesentlich, ob sich die Lage in Syrien dauerhaft geändert und stabilisiert habe. Außenministeriumssprecher Sebastian Fischer kündigte ein neues Lagebild für Syrien an, wenn man mehr über die Entwicklung sagen könne.
Unionsfraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) hatte in der „Rheinischen Post“ (Montag) gefordert, keine weiteren Flüchtlinge mehr aufzunehmen. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Torsten Frei (CDU), rief das Bamf auf, sich rasch auf die Überprüfung der den syrischen Flüchtlingen zugesprochenen Schutztitel vorzubereiten. Wenn Syrien sich zu einem Land entwickle, in dem weder politische Verfolgung noch eine individuelle Gefahr drohe, müsste das Konsequenzen haben für die Anerkennungspraxis in Deutschland, sagte Frei der „Augsburger Allgemeinen“ (Dienstag).
Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne), nannte es im rbb24 Inforadio selbstverständlich, dass Menschen zurückkehren, wenn Syrien sicher ist. „Und das ist eine Debatte, die wir dann führen können, aber nicht anderthalb Tage, nachdem in einer großen Instabilität und in einer großen Hoffnungsperspektive erst mal geschaut werden muss, was da wirklich passiert.“ Auch SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese forderte in der „Rheinischen Post“ (Dienstag) mehr Zurückhaltung: „Zu diesem Zeitpunkt über einen Aufnahmestopp für syrische Flüchtlinge zu fabulieren, wie CDU und CSU das machen, ist populistisch und verantwortungslos.“
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl bezeichnete Rückkehr-Aufrufe als Missachtung internationaler Schutzverpflichtungen und Zeichen mangelnder Empathie gegenüber Menschen, die großes Leid erfahren hätten. Die Politikwissenschaftlerin Bente Scheller sagte im WDR-Radio, die Zusicherung der islamistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS), Minderheiten Schutz zu garantieren, reiche nicht aus. Minderheiten wie etwa Christen, Jesiden oder Alawiten müssten auch Rechte und Beteiligung garantiert werden, erklärte die Leiterin des Nahost-Referats der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung.
Derweil rief das Bündnis Aktion Deutschland Hilft alle Akteure in Syrien dazu auf, humanitäre Zugänge und Hilfsmaßnahmen zu ermöglichen. Nach dem Fall des Assad-Regimes sei es nun wichtig, dass die Bevölkerung jede Hilfe bekomme, die notwendig sei, sagte Maria Rüther, Hauptgeschäftsführerin des Hilfsbündnisses. Das gelte auch für Menschen, die aus benachbarten Ländern nach Syrien zurückkehren.
Das UN-Kinderhilfswerk Unicef forderte, Kinder in der aktuell noch unsicheren Situation besonders zu berücksichtigen. „Gemeinsam müssen wir alles daran setzen, sie zu schützen und so schnell wie möglich ein stabiles Umfeld zu schaffen.“ Rund 16,7 Millionen Menschen in Syrien seien auf humanitäre Hilfe angewiesen, darunter 7,5 Millionen Kinder. Der Krieg habe zudem zu einer Bildungskrise geführt. Mehr als 2,4 Millionen Kinder würden nicht zur Schule gehen.