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Auf den Sportplatz statt hinter Gitter

Wer für eine Geldstrafe nicht ins Gefängnis gehen will, kann in NRW gemeinnützige Arbeit leisten. Diese Chance nutzen in Wuppertal viele Betroffene. Betreut werden sie vom Wichernhaus, einer Einrichtung der Diakonie RWL

Jeden Morgen, wenn Marc seinen Dienst auf dem Sportplatz antritt, atmet er erstmal tief die frische Luft ein. „Eigentlich würde ich jetzt in der Zelle sitzen und durch die Gitterstäbe nach draußen schauen“, sagt er. 120 Stunden gemeinnützige Arbeit muss der 29-Jährige auf dem Sportplatz ableisten, weil er 600 Euro Strafe für den Diebstahl eines Ta­blets nicht zahlen konnte. Es war der Tiefpunkt in einer Reihe von Schicksalsschlägen, die den gelernten Zerspanungsmechaniker von der Arbeits- und Wohnungslosigkeit bis in die Straffälligkeit führte. „Ich glaube, der Knast hätte mir den Rest gegeben“, meint er. „Die Arbeit sehe ich jetzt als meine Chance auf einen Neuanfang.“

Marc ist einer von derzeit 180 Menschen, die im Rahmen des NRW-Projekts „Schwitzen statt Sitzen“ in Wuppertal auf Sportplätzen, Friedhöfen, Tierparks oder in sozialen Einrichtungen von Wohlfahrtsverbänden und Kirchengemeinden gemeinnützige Arbeiten verrichten. Der Großteil der Projektteilnehmer ist schon seit vielen Jahren arbeitslos und kann die Geldstrafe für Delikte wie wiederholtes Schwarzfahren oder kleinere Betrügereien nicht bezahlen.

Chancen auf einen geregelten Tagesablauf

Wuppertal gehört zu den ersten Städten, in denen das Projekt 1997 startete. Jedes Jahr melden sich rund 700 Menschen bei der „Fach-und Vermittlungsstelle für gemeinnützige Arbeit im Landgerichtsbezirk Wuppertal“. Die Stelle ist bei der Wichernhaus Wuppertal GmbH angesiedelt, einer diakonischen Einrichtung der Straffälligenhilfe, die zur Diakonie RWL gehört.
Probleme, für die Menschen einen geeigneten Einsatzort zu finden, hat Vermittler Falk Pieper nur selten. Rund 550 Kooperationspartner gibt es mittlerweile für das Projekt. Die gemeinnützige Tätigkeit sei für viele eine gute Chance, sich wieder an einen geregelten Tagesablauf und Arbeitstugenden wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit zu gewöhnen, erklärt der 47-jährige Sozialarbeiter. Seit 1999 betreut er das landesweite Projekt in Wuppertal – alleine und mit einer 30-Stunden-Stelle. Pieper engagiert sich, wo er kann, aber für intensive Gespräche und tägliche Besuche auf den Einsatzstellen fehlt ihm die Zeit. Er wünscht sich eine volle Stelle und noch eine Verwaltungskraft.
„Das kostet nicht viel im Vergleich zu dem Geld, das die Landesregierung sparen könnte“, betont der Sozialarbeiter – und rechnet vor, dass allein im Landgerichtsbezirk Wuppertal rund 45 000 Stunden gemeinnützige Arbeit im Rahmen des Projekts geleistet werden, was gut 7000 ersparten Hafttagen und damit jedes Jahr ersparten Haftkosten von rund 830 000 Euro entspricht. Würden alle fünf Modellprojekte in NRW auskömmlich finanziert, könnte das Land erheblich mehr Haftaufenthalte vermeiden und dadurch rund fünf Millionen Euro mehr einsparen.
Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des Projekts sei aber die gute sozialpädagogische Begleitung, betont auch Petra Söder, Einrichtungsleiterin Straffälligenhilfe der Wichernhaus Wuppertal gemeinnützige GmbH. Seit 25 Jahren arbeitet sie mit straffällig gewordenen Menschen und weiß, dass viele eine intensive Betreuung brauchen, um einen achtstündigen Arbeitstag durchzustehen.

Das Ziel: straffrei und eigenverantwortlich leben

„Manchmal fehlt mir einfach die Kraft, morgens aus dem Bett zu kommen“, gibt Max (Name geändert) zu. Auch er leistet gerade gemeinnützige Arbeit bei einem Wuppertaler Sportverein, lebt aber seit Dezember im Wohnhaus des Wichernhauses für aus der Haft entlassene Männer und Frauen. Bewusst hat er sich dort um einen Platz beworben. Der 30-jährige arbeits- und wohnungslose Techniker wurde zu einer Bewährungsstrafe und Sozialstunden verurteilt. In der stationären Einrichtung lebt er mit 27 anderen Frauen und Männern zusammen. Die Betreuten können bis zu 18 Monate dort leben.
„Wir helfen diesen Menschen, wieder ein straffreies Leben aufzubauen, und dabei spielen die schulische und berufliche Integration eine wichtige Rolle“, erklärt Petra Söder. Die Sozialarbeiter des Hauses geben nicht nur Unterstützung bei der Entwicklung einer eigenverantwortlichen Lebensführung, sondern auch bei Bewerbungen, motivieren zu Pünktlichkeit und Durchhaltevermögen. Mit Erfolg. Max hat fast alle Sozialstunden abgeleistet – auch auf einem Sportplatz. Die ersten Bewerbungen sind abgeschickt. „Es geht wieder aufwärts in meinem Leben“, freut er sich.