Der Wissenschaftler und Publizist Guido Fuchs (Foto) leitet das Institut für Liturgie- und Alltagskultur in Hildesheim. In diesem Jahr ist sein Buch „Heiligabend. Ein Fest und seine Rituale“ erschienen. Im Gespräch mit Christoph Koitka erzählt der 64-Jährige von der deutschen „Stille-Nacht-Traulichkeit“, neuen Trends an Heiligabend und von dem allmählichen Verlust des religiösen Kerns, der hinter allgemeine Themen wie Liebe und Frieden zurücktritt.
Herr Fuchs, was macht den Heiligen Abend zu einem so besonderen Fest?
Das Fest ist ja eigentlich nicht der Heilige Abend, sondern das Weihnachtsfest am 25. Dezember, in das wir am Vorabend hineinfeiern. Aber für die meisten Menschen bei uns stellt Heiligabend den Höhepunkt dar. Besonders ist er, weil kein anderes religiöses Fest eine solche emotionale, familiäre Feier hervorgebracht hat. Und wo er noch religiös geprägt ist, ist das ebenfalls besonders, denn familiäre gottesdienstliche Formen wie die Hausandacht gibt es immer seltener.
Das heißt, das Weihnachtsfest, der Heiligabend – sie haben sich im Lauf der Zeit verändert, weiterentwickelt?
Das Weihnachtsfest entstand im vierten Jahrhundert in Rom und hat sich von da aus rasch verbreitet. Gottesdienstlich war es geprägt durch die drei Weihnachtsmessen: Das Hochamt am Tag, das Hirtenamt am Morgen und in der Nacht die Christmette. Erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann die Christmette auch bereits am Abend gefeiert werden. Die heutige familiäre Feier entwickelte sich erst ab dem 18. Jahrhundert.
Welche Traditionen sind denn im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen, welche haben sich erhalten?
Bis in das 20. Jahrhundert hinein war der 24. Dezember für katholische Christen ein so genannter Vigiltag, also ein Tag der Vorbereitung mit Fasten und Buße. Auch das Vorziehen des Gottesdienstes auf den Nachmittag hat viel verändert. Es halten sich aber beharrlich persönliche Traditionen in den Familien: „Das machen wir seit Jahren so!“ Das Festhalten an diesen Traditionen hat auch etwas damit zu tun, dass wir Weihnachten stark mit Blick auf die Kinder und auch auf die eigene Kindheit feiern.
Und welche Trends stellen Sie in den vergangenen Jahren fest?
Zunächst einmal weg von der früheren „Traulichkeit“ zu mehr Fröhlichkeit und Feierfreude. Weihnachten wird auch musikalisch vielfältiger, internationaler. Auch das Aufbrechen des eng Familiären zugunsten größerer Feiergruppen ist zu beobachten; damit kehrt man zu ganz alten Formen zurück, als Weihnachten noch nicht das „Fest der Familie“ war. Die Bescherung tritt in den Mittelpunkt, die oft sehr kreativ gestaltet wird und sich lange hinzieht. Auch das besondere Essen und dessen Zubereitung werden immer wichtiger.
Gibt es ein „typisch deutsches“ Weihnachtsfest?
Typisch deutsch ist sicher die Feier des Heiligabends, der daher entstand, dass in den evangelischen Kirchen schon früher der nächtliche Gottesdienst auf den Abend vorgezogen wurde. Hier gab es auch eine häusliche Andacht, die der Vater leitete. Daraus entstand die Heiligabendfeier mit ihren besonderen Ritualen.
Zum Beispiel?
Das Lesen des Weihnachtsevangeliums, Lieder, Gebete, von den Kindern auswendig gelernte Bibelverse, die später zu „Gedichten“ wurden… Das alles vor dem Christbaum, zu dem, vor allem im katholischen Bereich, die Krippe kam. Die Bescherung kam auch dazu, die heute im Mittelpunkt steht und in anderen Ländern am 25. oder auch an anderen Tagen gemacht wird.
Welchen Stellenwert hat Religion an Weihnachten heute überhaupt noch?
Weihnachten ist als Feier der Geburt des Gottessohnes ein religiöses Fest. Noch immer gehört für viele Menschen eine Teilnahme an den Gottesdiensten (vor allem am Heiligabend) mit dazu. Da Weihnachten inzwischen über alle Kulturen und Religionen hinweg gefeiert wird, tritt das spezifisch Christliche im Inhalt zurück gegenüber allgemeinen Themen wie Friede, Liebe, Familie. Das Religiöse spielt also noch eine Rolle, hat aber oft nur noch „Schmuck-Charakter“.