Fünfmal hat EKD-Olympiapfarrer Thomas Weber deutsche Mannschaften zu Olympischen Spielen begleitet. Mit vielen Sportlerinnen und Sportlern bedauert er das Nein Hamburgs zur Bewerbung um die Olympischen Spiele 2024. Wenn es um solche Großereignisse geht, müsse wieder mehr über den Sport gesprochen werden und darüber, was er für die Menschen sein soll, meint der Gevelsberger Gemeindepfarrer. Mit ihm sprach Annemarie Heibrock.
• Nach Garmisch-Partenkirchen, wo sich die Bürgerinnen und Bürger vor zwei Jahren gegen die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele ausgesprochen haben, nun auch das Hamburger Nein zu Olympia. Michael Vesper, Vorstandschef des Deutschen Olympischen Sportbundes, nannte das Ergebnis des Referendums eine „bittere Niederlage“. Teilen Sie seine Enttäuschung?
Aus der Perspektive des Sportbunds und aus Sicht der Sportlerinnen und Sportler hat er sicher Recht: Das ist in der Tat eine bittere Niederlage. Ich persönlich bedauere, dass im Vorfeld des Referendums über alles Mögliche gesprochen wurde, aber viel zu wenig über den Sport. Ich hatte zwischendurch den Eindruck, es ginge lediglich um Stadtentwicklung und Stadtmarketing. Für mich als Betrachter aus der Ferne schien der Sport manchmal nur ein Randthema zu sein.
• Ist es für die Sportlerinnen und Sportler nicht egal, in welche Stadt sie zu Wettkämpfen reisen?
Ganz und gar nicht. Sie müssen sich vorstellen: Olympische Spiele sind ein Highlight in einem Sportlerleben. Solche Wettkämpfe im eigenen Land böten die Chance, die vielen verschiedenen Sportarten aus ihrem Schattendasein zu holen, sie zu fördern und sie interessant zu machen – auch für den Nachwuchs. Denn wir dürfen uns ja nichts vormachen: Wenn von Sport die Rede ist, denken die meisten Menschen doch zuerst an Fußball.
• Und die Zuschauer? Auch die können sich ja die Wettkämpfe im Fernsehen anschauen – unabhängig von dem Ort, an dem sie ausgetragen werden.
Klar können sie das. Aber die Olympischen Spiele in London haben gezeigt, wie viele Menschen sich begeistern lassen, wenn sie den Sport und die Sportler aus nächster Nähe erleben. Diese Chance bietet sich eben nur bei Spielen im eigenen Land. Immerhin gibt es zahlreiche Wettkämpfe – zum Beispiel Straßenradrennen, Marathonlauf oder Triathlon –, wo man kostenlos dabei sein kann. Live-Eindrücke sind doch um Klassen besser als Fernseh-Übertragungen!
• Was waren denn Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für die Entscheidung der Hamburger gegen Olympische Spiele?
Da gibt es sicherlich verschiedene Erklärungen. Die Kosten spielten eine große Rolle, weil viele Menschen sehen, wo an anderen Stellen in der Stadt dringender Investitionsbedarf ist. Dazu kommen die Erfahrungen mit der Elbphilharmonie. Eine andere Gruppe von Neinsagern, so jedenfalls habe ich es auch den sozialen Netzwerken entnommen, will einfach nicht gestört werden: Die Menschen wollen keine Staus, keine Baustellen. Die Anschläge von Paris und die Vorstellung, welche Sicherheitsmaßnahmen nötig sein würden, dürften auch ihren Teil beigetragen haben zu der Absage.
• Und was ist mit Umweltschutz?
Sicher hat auch das eine Rolle gespielt. Allerdings gibt es einen großen Unterschied bei der Planung und Ausrichtung von Olympischen Winter- beziehungsweise Sommerspielen. Ich bin überzeugt, dass gerade bei Spielen im Sommer keine großen nachhaltigen Schäden die Folge sein müssen. Auch das hat London gezeigt. Aber das Nachhaltigkeitskonzept für die Hamburger Spiele ist offenbar bei der Mehrheit der Bevölkerung nicht gut genug angekommen.
• Zudem scheint das Vertrauen der Menschen verloren gegangen zu sein – in die Politik, aber auch in den Sport, dessen Funktionäre und Großorganisationen. Die Skandale, etwa um Korruption bei der Vergabe von Fußball-Weltmeisterschaften oder um Doping, haben dem Image des Sportes doch Schaden zugefügt…
Das haben sie. Und dies war meiner Meinung nach auch der ausschlaggebende Punkt. Aber ich warne vor Verallgemeinerungen. In den deutschen Sport habe ich immer noch Vertrauen, dass Verantwortung und Ehrlichkeit Bedeutung haben, dass es nicht bloß um Profite und eigene Vorteile geht. Und mit Thomas Bach steht ein Mensch an der Spitze des Internationalen Olympischen Komitees, der bereits eine umfassende Reformagenda angestoßen hat – freilich in einem schwierigen Umfeld.
• Lässt sich das verloren gegangene Vertrauen wiederherstellen?
Das hoffe ich. Jedenfalls wird das die Herausforderung für die nächsten Jahre sein.
• Und wie soll das gehen?
Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Debatte, in die auch wir uns als Kirchen einbringen – allerdings ohne erhobenen Zeigefinger. Dabei müssen wir uns der Tatsache stellen, dass Sport auch Show und Kommerz ist. Und dann müssen wir uns fragen, welchen Sport wir wollen. Einen Hochleistungssport, bei dem es nur um Medaillen und um Höher-Schneller-Weiter geht, wo man den mit dem zweiten Platz schon als ersten Verlierer betrachtet? Oder einen Sport, der Körper und Seele guttut, der jedem persönlich gefällt? Wolfgang Huber, der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat einmal gesagt, Sport sei „ein starkes Stück Leben“. Das teile ich.
• Bei einer solchen Debatte müsste es doch auch um ethische Fragen gehen: um Doping, um Fairplay und vielleicht auch um die Belastungen der Sportler?
Sicher. Denn schon jetzt fühlen sich die Sportler oftmals einem hohen Erfolgsdruck ausgesetzt. Und dies ist ja einer der Gründe, warum gedopt wird.