Italiens Küstenwache könnte schon bald Tausende Bootsmigranten nach Albanien bringen. Das Abkommen soll auch Tiranas Weg in die EU untermauern. Doch Kritiker meinen: “Wir machen den Job der anderen.”
Wenn in Bari die Pasta kocht, nimmt man ihren Duft in der albanischen Hafenstadt Durres wahr? Fast scheint es so, erzählt Ardian Hackaj, Direktor der politischen Denkfabrik “Cooperation and Development Institute” (CDI) in Tirana: Angesichts der gemeinsamen Geschichte seien die 80 Kilometer Adria, die Italien und Albanien trennen, “nicht mehr als ein See”. Am Donnerstag sind die Nachbarn erneut ein Stück näher zusammengerückt. Albaniens Parlament hat grünes Licht für Italiens Plan gegeben, zwei extraterritoriale Asylzentren an Albaniens Küste zu bauen.
Mit dem Deal, den Albaniens Ministerpräsident Edi Rama und seine italienische Amtskollegin Giorgia Meloni im vergangenen November in Rom unterzeichneten, ziele Italien darauf ab, die EU unattraktiver zu machen, analysiert Hackaj. “Die Botschaft an potenzielle Migranten lautet: Ihr werdet nicht in Italien landen, sondern außerhalb der EU.”
Von Asylexperten, Menschenrechtlern und Oppositionellen kam in den vergangenen Monaten starke Kritik – auf beiden Seiten des Meeres. “Das Abkommen ist absurd”, sagt Arilda Lleshi. Für die junge Aktivistin ist klar, wer von dem Migrationsexperiment profitiert: “Es sind weder die Albaner noch die Migranten.”
Die Vereinbarung sieht vor, dass von Italiens Küstenwache aufgegriffene Migranten aus dem Mittelmeer in die Zentren gebracht werden. Sie sollen unter italienischer Verwaltung stehen, von den Sicherheitskräften beider Länder bewacht werden und monatlich bis zu 3.000 Asylsuchende abfertigen. Ausgenommen seien Schwangere, Kinder und andere vulnerable Gruppen.
Ein Balkanland und ein EU-Staat als historische Verbündete? Tatsächlich haben Italiens und Albaniens Landesgeschichten eine große Schnittmenge: vom Römer-Reich über Albaniens Besetzung durch die Faschisten im Zweiten Weltkrieg bis zur Flucht vieler Albaner nach Italien, als in den 1990ern die kommunistische Diktatur fiel. “Als Kinder sahen wir italienisches Fernsehen, hörten italienische Musik, verfolgten die italienische Fußballliga und kannten die Namen aller wichtigen italienischen Städte und Künstler”, erinnert sich Hackaj.
Nun kritisieren viele Albaner jedoch, dass das Abkommen unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschlossen worden sei. Eine Klage der albanischen Opposition hat das Verfassungsgericht zurückgewiesen. Das Gericht habe versagt, meint Aktivistin Lleshi. In einem Punkt sind sich die Regierungskritikerin und der -chef aber offenbar einig: Die übrigen EU-Länder hätten Italien mit den ankommenden Migranten weitgehend im Stich gelassen. “Was wir hier als Nicht-Mitgliedstaat tun, ist das, was eigentlich die Mitglieder tun sollten.”
Lleshi wirft Albaniens Regierung “Korruption” vor. Einzig Italien werde von dem Deal profitieren. Von einem “klugen Schachzug” hingegen spricht Hackaj – zumindest aus der Position Albaniens als EU-Beitrittskandidat. Er schätzt, dass Albanien durch die Migrationsvereinbarung seinen Fuß noch weiter in die Tür der Union geschoben hat. Auch bei der CSU-Klausur zu Jahresbeginn, bei der Rama zu Gast war, soll die Zusammenarbeit in Sachen Migration Thema gewesen sein.
Hackaj appelliert an die EU-Staaten, künftig auf eine “realistischere” Migrationspolitik zu setzen. Er empfiehlt der EU-Kommission, das Abkommen zwischen Italien und Albanien zu bewerten und daraus Lehren zu ziehen. Zudem zweifelt er, dass sich Migranten von der Aussicht, in Albanien statt in Italien zu landen, tatsächlich abschrecken ließen. “Wer Tausende Kilometer zurückgelegt hat, wird kaum zwischen EU und Europa unterscheiden.”
Viele Albaner unterscheiden sehr wohl. Zwar sei Albanien politisch bereits auf einer Linie mit den EU-Mitgliedern, betont Hackaj, doch in Sachen Industrialisierung, Investment und Sozialsystem gebe es noch Aufholbedarf. Das macht Albanien selbst zu einem Auswanderungsland. Nach und nach verliere die Nation ihre Basis: Mittelschicht-Eltern, die es nach Westeuropa ziehe, da sie für ihre Kinder in Wien, Berlin und Rom mehr Perspektive sehen.