Wie stellt sich die AfD Schule vor? Ein Forschungsteam der Universität Augsburg analysiert derzeit die schulpolitischen Ideen der rechtspopulistischen Partei. Einige Erkenntnisse dazu, wie nach AfD-Willen unterrichtet werden soll, gibt es bereits, wie Projektleiterin Rita Nikolai dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläutert. Nikolai hat Politikwissenschaften und Geschichte studiert und ist seit 2020 Professorin für Vergleichende Bildungsforschung an der Uni Augsburg.
epd: Frau Nikolai, wie erforschen Sie als Erziehungswissenschaftlerin die AfD-Positionen?
Rita Nikolai: Wir vergleichen die schulpolitischen Positionen der AfD in den Bundesländern. Dazu schauen wir uns die Wahlprogramme in den Bundesländern, die Parlamentsdebatten und die Social-Media-Beiträge an. Politikwissenschaft und Soziologie kümmern sich schon lange um die Positionierung von rechtspopulistischen Parteien in vielen Fragen. Aber bezogen auf Bildungspolitik war da eine Forschungslücke.
epd: Welche zentralen Schulthemen finden Sie bei der AfD?
Nikolai: Wir nehmen zwei Dinge in den Blick: Bildungsziele und Schulorganisation. Wir sehen, dass in den vergangenen Jahren eine Radikalisierung stattgefunden hat: dass frühkindliche Sexualaufklärung abgelehnt und dass das Neutralitätsgebot an Schulen hochgehalten wird.
epd: Was bedeutet das Neutralitätsgebot genau?
Nikolai: Es bedeutet nicht, dass Lehrkräfte in Schulen oder Hochschulen nicht ihre Meinung äußern dürfen. Wichtig ist nur, dass man den Schülerinnen und Schülern und Studierenden nicht seine Meinung überstülpt, sondern sich über die Positionen unterhält. Die AfD will, dass sich Dozierende an Hochschulen und Lehrkräfte gar nicht äußern. Das ist aber damit nicht gemeint. Auch von der Rechtsprechung her sollen Lehrkräfte für die demokratischen Werte eintreten.
epd: Warum will die AfD, dass Lehrkräfte nichts Politisches sagen?
Nikolai: Sie befürchtet, dass dann an den Schulen auch über ihre Einstellungen diskutiert wird und womöglich Schülerinnen und Schüler feststellen: Diese Position entspricht nicht meinem Menschenbild.
epd: Was ist mit Geschichtsunterricht?
Nikolai: In den jüngsten Wahlprogrammen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen haben wir Geschichtsrevisionismus entdeckt. Die AfD möchte, dass Geschichtsunterricht stark mit Heimatliebe verknüpft wird, das 19. Jahrhundert stärker Thema ist und nicht soviel über den Nationalsozialismus und die Schoa gesprochen wird. Damit geht eine Verharmlosung dieser Zeit einher.
epd: Sowas schreibt die AfD unter den Augen des Verfassungsschutzes in ihr Programm?
Nikolai: Die AfD gilt in Teilen als rechtsextreme Partei. Es ist ein gutes Recht von Parteien, ihre Positionen darzulegen. Verwunderlich ist nur, dass so viele diese Partei wählen.
epd: Fehlt es in der Gesellschaft an Wissen über ihre Positionen?
Nikolai: Darum müssen wir solche Positionierungen und Einstellungsmuster herausarbeiten, um aufzuklären und darüber ins Gespräch zu kommen. Das ist die Verantwortung unserer Fachdisziplin. Erziehungswissenschaft muss wieder politischer werden und sich in Debatten einmischen. Bildung ist immer politisch. Lehrinhalte und Schulgestaltung sind immer verknüpft mit gesellschaftspolitischen Entwicklungen. Die AfD sieht Schulpolitik als wichtiges Handlungsfeld, weil damit Kinder und Jugendliche beeinflusst werden – die ganze zukünftige Generation.
epd: Wie stellt sich die AfD Bildungszugänge vor: Chancengerechtigkeit oder Elitenförderung?
Nikolai: Sie setzt auf Elitenorientierung und ist dafür, dass der Zugang zum Gymnasium abhängig sein soll von einer Grundschulempfehlung. Sie spricht sich nicht dafür aus, dass in der Grundschule alle Kinder gefördert werden sollen. Das machen quasi alle anderen Parteien – je unterschiedlich, aber alle so, dass auch Kinder mit Zuwanderungsgeschichte und aus unteren sozialen Schichten Sprachförderung bekommen. Die AfD sagt, sowas sei Aufgabe des Elternhauses.
epd: Thematisiert sie die Förderung für alle nicht, weil sie dann Migration und Pluralität anerkennen müsste?
Nikolai: Genau. Die AfD lehnt es etwa ab, dass Mädchen muslimischen Glaubens am Schwimmunterricht im Ganzkörperanzug teilnehmen. Das verknüpft sie mit migrationsfeindlichen Äußerungen und hat nicht auf dem Schirm, dass es darum geht, dass alle Kinder teilnehmen können.
epd: Versucht sie, diese Kinder zu ignorieren?
Nikolai: Das gilt auch für Fragen der Inklusion. Die AfD will das Förderschulsystem aufrechterhalten. Das wollen andere auch, etwa die Union. Aber die AfD verknüpft das mit einer Ungleichwertigkeit von Menschen. Sie sagt, Förderschulen sollen ein geschützter Raum sein, betont aber zugleich Leistungsorientierung und Elitenförderung. Sie will Förderschulen nur erhalten, weil diese Kinder im Regelunterricht nicht mitkommen und die anderen angeblich in ihrer Lernentwicklung stören.
epd: Auch wenn die AfD an keiner Regierung beteiligt ist: Welche Auswirkungen für die Gesellschaft könnten ihre Positionierungen trotzdem haben?
Nikolai: Der öffentliche Diskurs könnte sich verschieben und etwa das Neutralitätsthema Lehrkräfte verunsichern. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ermutigt sie zwar, für die Demokratie einzutreten. Aber schon die Meldeportale, die die AfD vor einigen Jahren in manchen Bundesländern eingeführt hatte, haben zu einem Klima der Unsicherheit geführt.
epd: Bei diesen Portalen sollten Schüler Lehrkräfte melden, die sich AfD-kritisch äußern. Die Websites wurden gerichtlich verboten, doch in Niedersachsen startet die Partei gerade einen neuen Versuch.
Nikolai: Auf diese Weise kann die AfD auch aus der Opposition heraus wirken. Sollte sie mal in einer Landesregierung den Kultusminister oder die Kultusministerin stellen, kann sie gut reinregieren. Schulgesetze müssen im Parlament debattiert werden – Verordnungen hingegen, etwa zu Lehrplaninhalten, werden nur im Ministerium verabschiedet. Das kann unabhängig von der Öffentlichkeit passieren.
epd: Welche Inhalte könnten betroffen sein?
Nikolai: Etwa die Frage, wann Sexualkundeunterricht stattfinden soll. Die AfD lehnt diesen in der Grundschule ab. In Baden-Württemberg kamen hier die Positionen von rechten Christinnen und Christen und der AfD nahe zueinander. Das Thema Sexualkunde ist für die AfD auch ein Vehikel, um ihr Familienbild zu transportieren: Ehe nur zwischen Mann und Frau, ohne Lebensformen wie LGBTQIA+. Sie erkennt diese bunte, reale Pluralität nicht an.
epd: Sieht die AfD die Rolle der Frau allein im Kindererziehen?
Nikolai: Ja. Und dass sie Sexualpädagogik nicht so früh thematisiert haben will, halte ich für falsch. Es geht nicht darum, Sexualpraktiken zu thematisieren, sondern das Kind so zu stärken, dass es über seinen eigenen Körper Bescheid weiß, auch um sich gegen Übergriffe wehren zu können. Es ist nur sprachfähig, wenn es weiß, wer es ist. Durch solche Themensetzungen schafft die AfD viel Verunsicherung.
epd: Als Wissenschaftlerin arbeiten Sie objektiv. Welche Werte müssen für Sie allgemein vorausgesetzt werden?
Nikolai: Die freiheitlich-demokratische Grundordnung, Menschenwürde, Schutz von Minderheiten, gegenseitige Anerkennung. Da spielt sicher auch mein christliches Verständnis hinein: Ich gehöre der evangelischen Kirche an, bin in meiner Gemeinde aktiv und versuche, das auch in der Wissenschaft zu leben. (00/3846/04.12.2024)