Laut Umfrage sind die Deutschen nicht mehrheitlich für eine Änderung der geltenden Abtreibungsregeln. Nach einer Befragung der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag von ZDF frontal sprechen sich 54 Prozent der Befragten dafür aus, dass ein Schwangerschaftsabbruch weiterhin als Straftat gilt, die unter bestimmten Voraussetzungen aber nicht geahndet wird.
Die Ampelregierung will prüfen, ob die Frage der Abtreibungen auch außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt werden kann. Dazu wurde eine Kommission eingesetzt, die bis April mögliche Handlungsempfehlungen zum geltenden Abtreibungsrecht vorlegen soll. Vor allem Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), hat mehrfach bekundet, dass die Regelung aus dem Strafgesetzbuch verschwinden soll.
Am heutigen Donnerstag gibt es eine nicht-öffentliche Anhörung von Fachverbänden bei der Kommission zu einer möglichen Änderung von Paragraf 218; darunter ist auch der Träger von Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen “Donum Vitae” (Geschenk des Lebens). Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit Bundesgeschäftsführerin Julia Seeberg über den Sinn von Beratungen, steigende Abtreibungszahlen und die Rechte von Ungeborenen, Müttern – und Vätern.
KNA: Frau Seeberg, was für Frauen kommen zu Ihnen in die Schwangerschaftskonfliktberatung – und was für Probleme haben sie?
Julia Seeberg: Zu uns kommen Frauen aus allen gesellschaftlichen Milieus in den unterschiedlichsten Lebenssituationen, auch mit Migrations- und Fluchtgeschichte. Wichtige Themen sind natürlich die individuelle Situation der Frau, als Paar, als Familie, soziale, wirtschaftliche Fragen und auch kulturelle oder religiöse Aspekte. Wir unterstützen die Frauen oder Paare dabei, eine für sie tragfähige Lösung und verantwortete Entscheidung in dieser Ausnahmesituation zu treffen.
KNA: Donum Vitae hat im Jahr 2021 bundesweit 17.000 Beratungen im Schwangerschaftskonflikt durchgeführt. Warum ist eine Beratung wichtig?
Seeberg: Auch wenn manche Frauen mit einer gewissen Verunsicherung zu uns in die Beratung kommen, weil sie nicht wissen, was sie erwartet, gehen die allermeisten raus und sagen: Die Beratung hat mir sehr geholfen, eine für mich reflektierte und verantwortete Entscheidung zu treffen. Das Gespräch mit einer neutralen Person hat mir sehr gut getan, nochmal genau zu durchdenken und zu überlegen, was diese beiden möglichen Wege – also der Abbruch der Schwangerschaft oder die Entscheidung, das Kind zu bekommen – für meine individuelle Situation bedeuten würde. Die Beratung ist hier wie eine Haltestelle im Entscheidungsprozess. Sie soll dazu beitragen, eine langfristig tragfähige Entscheidung zu treffen und stärkt die Entscheidungsfähigkeit der Frau.
KNA: Dennoch will Bundesfamilienministerin Paus die verpflichtende Beratung abschaffen. Bisher ist sie Voraussetzung für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch…
Seeberg: Der Staat hat laut Verfassung den Auftrag, ungeborenes Leben zu schützen. Es stellt sich die Frage, wie er das im Schwangerschaftskonflikt gewährleisten will, wenn nicht durch eine verbindliche Beratung, nach der die Frau ihre Entscheidung trifft. Ein weiterer Punkt, den wir auch aus anderen Beratungskontexten kennen: Wenn es keine Beratungspflicht mehr gibt, weiß man nicht, ob Frauen in diesen Ausnahme- und Notsituationen noch den Weg in die Beratung finden. Hier entstünde eine Lücke: Die Beratungsstelle soll ja ein Anlaufpunkt sein, die Sorgen und Nöte zu teilen – und auch nach der Entscheidung weiterzuhelfen.
KNA: Wie viele der Frauen entscheiden sich nach einer solchen Beratung in Ihrer Einrichtung für das Kind, wie viele dagegen?
Seeberg: Dazu liegen uns keine Informationen vor. Dies ist auch nicht Teil der vertraulichen und ergebnisoffenen Beratung. Die Entscheidung liegt bei der Frau. Sollte sie im Nachgang weiteren Beratungsbedarf haben, sind die Beraterinnen und Berater für sie da – egal, wie sie sich entschieden hat.
KNA: Kritiker sagen, dass Frauen durch die bisherige strafrechtliche Regelung stigmatisiert und kriminalisiert würden…
Seeberg: In unseren Beratungen machen wir nicht diese Erfahrung. Es ist bisher kein Thema, dass sich die Frauen durch die aktuellen rechtlichen Regelungen stigmatisiert fühlten. Zudem hat das Strafrecht an dieser Stelle ja nicht die Strafe, sondern den Schutz im Blick. Es geht um den Schutz der Frau, aber auch des ungeborenen Lebens. Und was die Kriminalisierung anbelangt: In den vergangenen 15 Jahren hat es laut Statistik kaum Fälle gegeben, bei denen Frauen, die entgegen der geltenden Regelungen einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt haben, dafür verurteilt worden sind. Da muss man also genauer hinschauen.
KNA: Kritiker bemängeln auch, dass man in Deutschland keinen niedrigschwelligen Zugang zu Abtreibungspraxen habe. In Berlin etwa finde ich allein unter meiner Postleitzahl etwa 30 Ärzte im nächsten Umkreis – aber ist das auf dem Land auch so?
Seeberg: Es gibt ländliche Regionen in Deutschland, von denen man eine längere Anfahrt in Kauf nehmen muss, was aber auch im Rahmen des zur Verfügung stehenden Zeitfensters – vor Ablauf der zwölften Woche – aus unserer Erfahrung heraus machbar ist. Zudem sind die Abtreibungszahlen in den letzten Quartalen sogar leicht gestiegen. Insofern gehen wir davon aus, dass jede Frau, die in Deutschland einen Schwangerschaftsabbruch durchführen will, dies auch tun kann.
KNA: Rund 104.000 Abtreibungen im Jahr 2022 im Vergleich zu 94.600 im Jahr 2021 – wieso dieser Anstieg?
Seeberg: Das kann man schwer sagen, meist spielen mehrere Gründe eine Rolle, das ist sehr individuell. Relevant ist immer die persönliche Paar- oder Familiensituation, aber wirtschaftliche Gründe oder auch Zukunftsangst angesichts der vielen Krisen sind beides Themen, die bei uns in der Beratung immer häufiger angesprochen werden.
KNA: Woran liegt das?
Seeberg: Vielleicht an den Erfahrungen, die Familien etwa in der Corona-Pandemie gemacht haben: dass im Krisenfall seitens des Staates nicht die entsprechenden Unterstützungsangebote für Familien zur Verfügung stehen. Das hat verunsichert und wirkt nach. Und mit Blick auf die Klimakrise und die vielen globalen Konflikte ergibt sich für Paare und Familien dann die Frage, ob sie unter diesen Umständen noch ein weiteres Kind haben möchten.
Laut Statistik haben 59 Prozent der Frauen, die einen Abbruch vornehmen lassen, bereits ein Kind. Hinzu kommen die zunehmenden sozialen Probleme: Wohnungsnot, Inflation, fehlende Kita-Plätze. Diese Themen beschäftigen Frauen in so einer Lage und sind auch maßgeblich dafür, wie sich das Leben mit einem weiteren Kind konkret gestaltet.
KNA: Es ist – auch gesetzlich – stets von den Frauen die Rede. Wieso haben die Männer hier kein Mitspracherecht?
Seeberg: Natürlich ist für eine Schwangerschaft nie die Frau allein verantwortlich, sondern in gleicher Weise der Vater, der auch Verantwortung übernehmen muss. Gleichzeitig geht es primär um die Frau in einem Schwangerschaftskonflikt – etwa um ihr Recht auf Würde und ihre körperliche Unversehrtheit. Man kann das Leben des Ungeborenen nur mit der Frau schützen, nicht gegen sie.