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Abschreckung ist Selbstbetrug

Der Preis stärke die Anti-Atomwaffen-Bewegung, meint Angelika-Claußen, Europavorsitzende der Ärzte gegen den Atomkrieg. Ihr Ziel ist und bleibt: eine Welt ohne Atomwaffen

Als ermutigendes Zeichen wertet Angelika Claußen(Foto) den Friedensnobelpreis für die Internationale Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (ICAN). Claußen ist Europavorsitzende des Vereins „Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs“ (IPPNW), einer tragenden Säule von ICAN. Die 66-jährige Bielefelder Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, seit mehr als 35 Jahren bei IPPNW engagiert und Mitglied in der „Begleitgruppe Frieden“ der Evangelischen Kirche von Westfalen, sagt, dass nun die Arbeit richtig losgehe. Von der neuen Bundesregierung wünscht sie sich, dass sie den Atomwaffenverbotsvertrag unterschreibt und die Atomwaffen aus der Eifel abzieht. Mit Angelika Claußen sprach Annemarie Heibrock.

– Der Friedensnobelpreis für ICAN sei, so hieß es in vielen Reaktionen, das richtige Signal zur rechten Zeit.  Aber ist es mehr als ein Signal? Was können Sie, was können ICAN und IPPNW denn tatsächlich bewirken? Es wird Ihnen kaum gelingen, dass Donald Trump und Kim Jong-un ihre Atomwaffen verschrotten lassen…
Das wird uns im ersten Schritt sicherlich nicht gelingen. Das erwartet aber auch niemand von uns. Schließlich gibt es Atomwaffen seit mittlerweile mehr als 70 Jahren. Aber es ist trotzdem schon sehr viel erreicht. Vor allem, wenn man den Atomwaffenverbotsvertrag betrachtet, der von 122 Staaten beschlossen wurde…

– … und den mittlerweile schon mehr als 50 Staaten unterzeichnet haben.
Darüber sind wir sehr froh, denn wir glauben, dass wir daran einen wesentlichen Anteil haben. Mit unseren Studien, die zeigen, welche verheerenden humanitären Auswirkungen ein auch nur regionaler Atomkrieg hätte, haben wir sicherlich etliche Politiker zum Umdenken bewegt. Ein auch nur begrenzter Atomkrieg mit nur 100 Hiroshimabomben würde bedeuten, dass die Temperaturen auf der Erde durchschnittlich um 1 bis 1,5 Grad sinken. Und das wiederum hätte riesige Ernteausfälle und damit Hungersnöte zur Folge. Zusätzlich zu den Millionen von unmittelbaren Toten durch die Atombomben sind zwei Milliarden Menschen durch Hungersnöte bedroht und würden sterben. Das kann man doch nicht länger ignorieren. Deshalb steht der Einsatz für den Atomwaffenverbotsvertrag im Zentrum unserer Arbeit.

– Viele Politiker sind lange Zeit davon ausgegangen, dass die Atomwaffen ja gar nicht zum Einsatz kommen, sondern dass sie nur zur Abschreckung dienen…
Da sind wir ganz und gar anderer Meinung. Nukleare Abschreckung dient nicht dem Frieden. Sie ist, wenn Atomwaffen zum Einsatz kommen, katastrophal für zwei Milliarden  Menschen, wie unsere Studien nachgewiesen haben.

– Dennoch: Eine atomwaffenfreie Welt –  ist das nicht ein Traum? Noch nie in der Geschichte ist die Menschheit hinter technische Entwicklungen, die sie einmal gemacht hat, zurückgegangen.
Die Atomtechnik existiert. Das stimmt. Man kann sie nicht einfach vergessen. Aber Politiker und Regierungen können aussteigen, Atomtechnik ist zutiefst menschenfeindlich und zerstörerisch. Für die Atomenergie – den Zwilling der Atomwaffen – haben das inzwischen viele erkannt. Im Blick auf Atomwaffen setzen wir auf unsere Überzeugungskraft, bei der Zivilbevölkerung wie bei der Politik.  Die technischen Mittel, wie man Atomwaffen unschädlich machen kann, existieren. Was es braucht, ist der politische Wille,

– …der in Deutschland offenbar nicht vorhanden ist. Im Fliegerhorst Büchel in der Eifel lagern noch etwa 20 Atombomben und Deutschland hat den Atomwaffenverbotsvertrag noch nicht unterschrieben.
Ja. Darüber sind wir empört, denn in dieser Sache spricht unsere Regierung mit zwei Zungen. Einerseits plädiert die Bundesregierung für Verständigung, Frieden und Abrüstung, behauptet, dass sie sich auch für die nukleare Abrüstung einsetze. Andererseits unterwirft sie  sich den USA und der NATO, die erst 2016 erneut ihre nukleare Abschreckungsdoktrin bekräftigt hat. Aber Abschreckung mit Atomwaffen bedroht zuallererst uns Menschen. Wir werden zum Ziel.  

– Im Kalten Krieg aber ist man doch ganz gut damit gefahren. Oder?
Schon damals hat die Friedensbewegung diese Propaganda erfolgreich entmystifiziert. Wir sind damals nur knapp an einem Atomkrieg vorbeigeschlittert. In Wahrheit ist die Abschreckungsdoktrin reiner Selbstbetrug. Denn sie bedeutet ja, dass derjenige, der zuerst schießt, auch stirbt – nur eben etwas später. Nein, es gibt keine positiven Seiten der Abschreckung.  

– Die Welt stehe vor einer Spirale neuer atomarer Aufrüstung, sagte Außenminister Sigmar Gabriel vor wenigen Tagen. Glauben Sie, dass der Friedensnobelpreis angesichts solcher Umstände Ihre Position gegenüber der Politik stärken kann?
Auf jeden Fall. Das haben wir an den ersten Reaktionen gesehen. Im Übrigen auch in den Medien, die uns – wie die Friedensbewegung insgesamt – ja leider lange Zeit etwas links liegen gelassen haben. Ja, die Chance ist da, dass wir mehr gehört werden. Das heißt, unsere Arbeit fängt jetzt erst richtig an.
Wir wollen weiterhin auf die Politik Einfluss nehmen und dabei vor allem die Nicht-Atomwaffen-Staaten ermutigen, ihre Macht in die politische Waagschale zu werfen und sich nicht immer vor den Atomwaffen-Staaten zu ducken. Das ist uns mit dem Beschluss zum Atomwaffenverbotsvertrag schon teilweise gelungen. Die Nicht-Atomwaffenstaaten lassen sich nicht mehr von den Atomwaffenstaaten einschüchtern, die glauben, mit diesem Machtsymbol allen anderen ihre Bedingungen diktieren zu können.

– Und was sind Ihre Erwartungen und Wünsche an die künftige Bundesregierung?
Unser erster Wunsch ist natürlich, dass sie als erstes NATO-Land den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet. Damit könnte sie Geschichte schreiben. Dazu würde selbstverständlich auch gehören müssen, dass die Bundesregierung die 20 Atomwaffen in Büchel abzieht. Der Wille zur Entspannungspolitik ist bei vielen politischen Kräften vorhanden. Gerade Deutschland hat an vielen Stellen gezeigt, dass Verhandlungen immer besser sind als alle militärischen Optionen, etwa im Konflikt um die Ost-Ukraine, wo die Bundesregierung zusammen mit der französischen Regierung und im Rahmen der OSZE Verhandlungen geführt hat. Wir sind nicht machtlos. Was wir brauchen, ist mehr gegenseitiges Vertrauen auf der internationalen politischen Bühne. Und mehr Mut.

–  Kontakt für Infomaterial und Vortragsanfragen: Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs /Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW), Körtestraße 10, 10967 Berlin, Telefon (0 30) 6 98 07 40; E-Mail: kontakt@ippnw.de; Internet: www.ippnw.de.