Die Bekannten der Eltern waren entsetzt, dass wir “sowas” gucken durften. Dabei sind die Botschaften von damals auch für die Probleme heute noch aktuell. Denn es rappelt in der Kiste – meint auch eine Protagonistin von einst.
Sie waren ein klarer Widerspruch in sich: “Die Rappelkiste” waren öffentlich-rechtliche Bürgerschrecks! Vom ZDF. Und dann noch für Kinder. Produziert in Berlin, Tür an Tür mit dem roten Klassenfeind. Die Bilder wirken heute fast urig gestrig, die Botschaften erstaunlich aktuell. Vor 50 Jahren, am 30. September 1973, wurde die erste Folge ausgestrahlt. “Ene mene miste, es rappelt in der Kiste…”
Die “Rappelkiste”, das war ein Straßenfeger, mit Hinterhöfen, Treppenhäusern, Fassaden und Straßenzügen, die noch erschreckend deutlich zeigen, dass der Krieg damals erst 28 Jahre zurücklag – kürzer als für uns heute der Mauerfall. Bis zu vier Millionen zumeist kleiner Zuschauer zog die TV-Serie für Vorschulkinder sonntagnachmittags für 30 Minuten in ihren Bann. Hier wurde antiautoritäre Erziehung propagiert: Kinder bilden sich ihr eigenes Urteil – und wenn Erwachsene ungerecht oder egoistisch handeln, dann muss man sich eben solidarisch dagegen auflehnen. “Meckern ist Quatsch!”, so hieß das damals.
Die “Rappelkiste” war eine der ersten Kindersendungen im deutschen Fernsehen, die ausdrücklich als Bildungsprogramm entwickelt war; zusammen mit Fachpädagogen und Kinderpsychologen. Regisseur Elmar Maria Lorey (1941-2019) erhielt dafür 1975 den Grimme-Preis. Die Schweizerin Rita Ziegler, heute 73, spielte damals zusammen mit ihrem Partner Kristov Brändli die Puppenfiguren “Ratz und Rübe”, die die Botschaften der einzelnen Folgen mit Szenen und einem Schlusslied auf den Punkt brachten.
Ziegler wird heute noch warm ums Herz, wenn sie sich an die kreativen Sommer im ZDF-Studio Berlin zurückerinnert. Produktiv, spielerisch sei es gewesen – “und wir alle, Techniker, Musiker, Spieler und Redaktion, hatten viel Spaß dabei”, erzählt sie der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA); Spaß dabei, die verkrusteten sozialen Konventionen von damals aufzubrechen.
“Als Kristov und ich Anfang der 70er nach Berlin kamen, gründeten wir ein Puppentheater und spielten quer durch die Stadt. So hatten wir viel Einsicht in die Alltagsverhältnisse”, erzählt Ziegler: “Jungs blau, Mädchen rosa; das klassische Familienbild. Vater geht arbeiten, Mutter kocht – viel verkrusteter und genormter noch, als es heute ist.”
Auch die Pädagogik orientierte sich noch weitgehend an den konventionellen Straf- und Belohnungs-Normen, so die Puppenspielerin. “Die neue Haltung sollte sein: Wir Kinder sind auch ein Teil der Gesellschaft und haben auch Rechte.” Für “Ratz und Rübe” orientierten sich die beiden an Max und Moritz: “Aber da auch die Mädchen damals noch öfters im Hintertreffen waren, mussten es unbedingt ein Junge und ein Mädchen sein – halt die Rübe.” Und klar: Ratz und Rübe wuchsen zu Hause mit nur jeweils einem Elternteil auf.
Die Autoren griffen Tabu-Themen wie Arbeitslosigkeit auf, kritisierten soziale Ungleichheit und Spießbürgertum im Allgemeinen. Politische Korrektheit gegenüber bürgerlichen Autoritäten und Privilegierten – Hauswart, Polizist, Architekt – war dabei kein Kriterium, im Gegenteil. In der Folge “Vom Bauen und Wohnen” (1975) fragt der Sohn den Vater, warum er denn so viel Miete zahlen muss – und der antwortet: damit der Vermieter seiner Frau einen schönen Nerzmantel kaufen kann. Kein Wunder, “dass die Redaktion des Öfteren beim Intendanten antreten musste”, wie Rita Ziegler verrät.
“In jenen Jahren spürte man in Berlin nicht nur die Nähe des Kriegsendes; es war noch vieles nicht ausgesprochen”, erzählt Ziegler. “Die neue Generation fing erst an, die Eltern zu hinterfragen, die verborgenen Dinge beim Namen zu nennen.” Nach der Episode “Mein Opa war im Krieg” beschwerte sich der Deutsche Bundeswehrverband; sie wurde nie mehr wiederholt.
In den späteren Folgen der 80er Jahre dann war auf dem Feld der Rotzfrechheit schon vieles beackert. Als sich Ratz und Rübe über die Namen von Geschlechtsteilen kaputtlachten – “Gurke, Pimmel, Würstchen” -, hielten sich die Proteste bereits in Grenzen.
Schauspielerin Meret Becker, Jahrgang 1969, verdiente sich 1974 mit fünf Jahren die ersten Sporen in der “Rappelkiste”. Auch “Kommissar Schimanskis” Assistent Eberhard Feik hatte 1975 einen Auftritt; die Berliner Lokalmatadore Brigitte Mira und Kurt Schmidtchen natürlich auch.
160 Folgen lang fegte die Rappelkiste pädagogischen Muff aus den Kinderzimmern. 1984 war dann Schluss mit Ratz und Rübe; mit den “Ompis”, einer Gruppe kultiger Knetfiguren; und mit dem fantastisch grotesken Pärchen “Oswin und Nickel”, grandios gespielt von Michael Habeck und Eberhard Peiker. Diese beiden gingen stets völlig unbedarft an ihren Erwachsenenalltag heran – und hatten dabei, was Verhalten und Dekors angeht, ganz sicher die frühen Monty-Python-Folgen studiert.
Was bleibt von einst? Ganz viel, meint “Rübe” Rita Ziegler: “Sicher ist es seit den 70ern besser geworden. Aber noch immer gibt es in diesem wohlhabenden Land Kinderarmut, Bildungsnotstand, keine Chancengleichheit zwischen Arm und Reich.” Anscheinend werde auch heute den Kindern noch nicht genug Beachtung geschenkt – “oder sie werden nicht wirklich ernst genommen”.