Ein erleichterter Gesichtsausdruck und stehender Applaus: Es wirkt wie ein Moment der Erlösung, als die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs bei der Synodentagung in Würzburg zur Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt ist. 97 Ja-Stimmen, 19 Enthaltungen, 14-mal Nein: Es ist kein überragendes Ergebnis, aber die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im ersten Wahlgang deutlich erreicht. Sichtlich dankbar nimmt die 63-jährige Fehrs Blumen und Umarmungen entgegen.
Erst am Montag brauchte die Synode sechs Wahlgänge, um drei neue Ratsmitglieder zu bestimmen. Der neuen Frau an der Spitze ersparte das Kirchenparlament eine Hängepartie. Ein „stabiles Ergebnis“ nannte es Fehrs selbst. Es gebe ihr „genügend Rückenwind“. Den wird die oberste Repräsentantin der 18,6 Millionen evangelischen Christen brauchen.
Wer den Ratsvorsitz innehat, muss sich auf Krisenmanagement verstehen
Mitgliederschwund und damit einhergehende Finanzverluste fordern von den Protestanten Strukturreformen und schmerzhafte Einschnitte. Dazu steht die evangelische Kirche wegen des Umgangs mit sexualisierter Gewalt stark unter öffentlichem Druck. Wer den Ratsvorsitz innehat, muss sich auf Krisenmanagement verstehen. Von „steifer Brise von vorn“ sprach Fehrs in ihrem Bericht bei der Eröffnung der Synode. Da kann der zierlichen Bischöfin ein bisschen Rückenwind helfen.
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Mit Wind kennt sich die Norddeutsche jedenfalls aus. Aufgewachsen ist Fehrs an der schleswig-holsteinischen Westküste als Tochter des Bürgermeisters in Wesselburen. Sie studierte in Hamburg Theologie, war Pfarrerin in Holstein und an der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi. Seit 2011 ist sie Hamburger Bischöfin.
Fehrs begleitete als Bischöfin den Missbrauchsskandal in Ahrensburg
Auf EKD-Ebene bekannt wurde Fehrs, die mit einem Pastor verheiratet ist, im Zusammenhang mit der schlimmsten Krise ihrer Kirche. Sie begleitete als Bischöfin den Missbrauchsskandal in Ahrensburg. 2018 wurde sie Sprecherin des ersten EKD-Gremiums, das sich der Aufarbeitung und den Konsequenzen sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche widmete, dem sogenannten Beauftragtenrat. Fehrs erkannte früh, welche Glaubwürdigkeitskrise mit dem Thema verbunden ist. „Eine Kirche, die solcher Gewalt nicht wehrt, ist keine Kirche mehr“, sagte Fehrs bei der damaligen Synode.
Schon 2021 galt sie als eine Favoritin für den Ratsvorsitz. Mehr Stimmen bekam aber die damalige westfälische Präses Annette Kurschus, Fehrs wurde ihre Stellvertreterin. Zwei Jahre war Kurschus EKD-Ratsvorsitzende, bevor sie nach Vorwürfen im Zusammenhang mit einem früheren Missbrauchsfall in ihrer Landeskirche von allen Leitungsämtern zurücktrat. Vor allem Kommunikationsfehler, so analysiert es die EKD heute, führten damals dazu, dass der Rücktritt unausweichlich erschien.
Vorwürfe gegen Fehrs wegen mutmaßlichen Missbrauchsfall
Man habe daraus Konsequenzen gezogen, sagte Fehrs, die den Ratsvorsitz nach dem Rücktritt von Kurschus schon ein Jahr kommissarisch innehatte, bei der Synode in Würzburg. Inzwischen gebe es eine Regelung, wie bei Vorwürfen gegen Leitungspersonen der Kirche verfahren werden soll.
In Würzburg wurde man Zeuge davon. Als sich Missbrauchsbetroffene zu einer Demonstration angekündigt hatten, bestellte die EKD eine Expertin, die als „Anwältin“ deren Eingaben sammelte und vor dem Plenum verlas. Dabei wurden Vorwürfe gegen Fehrs und die Bischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, laut. Hintergrund ist eine von der Betroffenen als „freundschaftlich“ bezeichnete Verbindung zwischen Fehrs und einem ehemaligen Pastor einer Hamburger Gemeinde, der von dem mutmaßlichen Missbrauchsfall in den 80er Jahren gewusst haben soll.
EKD: keine Anhaltspunkte für Fehlverhalten von Fehrs
Als Reaktion veröffentlichte die EKD ein Schreiben ihrer Fachstelle Sexualisierte Gewalt, das den Synodalen bereits vorlag. Darin heißt es, dass es keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten von Fehrs gebe. Weil es einen dienstlichen Kontakt zum Beschuldigten gegeben habe, habe Fehrs sich aus dem Verfahren zurückgezogen. Der Fall werde extern überprüft. Der Rat der EKD stellte sich am Dienstag hinter Fehrs.
Die neue Ratsvorsitzende bezeichnete die Vorwürfe selbst als „gegenstandslos“. Regelhaft würden solche Vorwürfe zudem umfassend untersucht, sagte Fehrs am Dienstag vor Journalisten. In einer kurzen Rede nach ihrer Wahl versprach sie, sich weiter für Aufarbeitung einzusetzen. „Mit Mut nach vorn ausgerichtet“ wolle sie ihr Amt angehen: „Die nächsten Jahre werden uns viel abverlangen.“