“Holy Aperoly” und Kirchen-Selfies: Auf dem Mannheimer Maimarkt präsentieren sich auch die beiden großen Kirchen. Sie bieten Besuchern einen Moment des Innehaltens zwischen Softeis und Tierschauen.
Ruth aus Eppingen ist mit ihrer Schwester auf den Maimarkt gekommen, Deutschlands größte Regionalmesse, die jedes Jahr im Mai – Nomen est omen – in Mannheim stattfindet. Elf Tage dauert die Veranstaltung, die vom Whirlpool bis zu Topf und Pfanne, vom Käse bis zum Softeis, von der Tierschau bis zum Reitturnier eine breite Palette an Angeboten, Vorführungen und Beratungen präsentiert. Und noch bis zum 6. Mai mittendrin in Zelt 27, das am Eingang mit “Dienstleistungen” überschrieben ist, sind die beiden christlichen Kirchen.
Zum ersten Mal in der mehr als 400-jährigen Geschichte des Maimarkts sind evangelische und katholische Kirche dort gemeinsam präsent – die katholische Kirche ist seit einer längeren Pause überhaupt wieder auf der Messe vertreten. Das Motto des ökumenischen Kirchenstandes lautet “Das Leben feiern”.
Im Zentrum des Zeltes steht ein feierlich gedeckter, langer Tisch. Mit rot-karierter Tischdecke, Kerzenständern, Blumenvasen, Tischsets, die Kinder ausmalen können. Der Untertitel des Mottos ist die Vergewisserung: “An Gottes Tisch ist Platz für Dich”.
Ruth und ihre Schwester wollen sich zwar nicht setzen, sie drehen aber einmal das Glücksrad und lassen ein gemeinsames Foto von sich machen. “Das sieht gut aus”, sagt Ruth zu ihrer Schwester beim Blick aufs Bild und erzählt, dass ihnen bewusst gewesen sei, dass die Kirche in diesem Zelt ihren Stand habe.
Ihr Besuch sei also nicht zufällig. Sie begrüßen, dass es einen solchen Ort der Begegnung gebe. “Viele Menschen sind einsam, auch hier auf dem Maimarkt sieht man manche, die allein unterwegs sind”, meint Ruth. Der Tisch soll, so hoffen die Organisatoren der beiden Kirchen, Menschen zusammenbringen.
Gäste können hier kurz verschnaufen, mitgebrachtes Essen verzehren, sich informieren – etwa darüber, wie Kirche bei zentralen Lebensstationen wie Geburt, Kita-Start und Einschulung, Ausbildungsbeginn und Umzug, Heirat und Trennung, Krankheit und Abschied die Menschen begleitet.
“Das Leben zu feiern, von Anfang bis Ende, von der Geburt bis zur Beerdigung, das ist es, was die beiden Kirchen verbindet und was Kirche gut kann”, beschreibt Projektreferent Chris Lee vom katholischen Stadtdekanat Mannheim das Konzept. Mittags um 13 Uhr heißt es “Zu Tisch”, dann fungiert die Tafel als Altar, und es findet eine Mini-Andacht statt.
Beim Glücksrad winkt täglich als Hauptgewinn ein “Holy Aperoly”, ein Drink, der an zwei eigenen Terminen nach dem Maimarkt auf dem Turm der Mannheimer Kirche Konkordien eingenommen wird. Ganz im Party-Sinn gibt es noch eine Foto-Box und eine Lebenslieder-Disco, in der getanzt, Musik gehört und Vorschläge für die eigens eingerichtete Maimarkt-Spotify-Liste eingereicht werden können.
“Freude, Liebe, Trauer” sind die Oberthemen, und so wünscht sich ein Nutzer “Freude schöner Götterfunken”, ein anderer nennt den Titel des Albums Lokalmatadors Gringo Mayer, “Laav”. Haupt- und Ehrenamtliche betreuen den Stand zusammen, insgesamt sind es 30.
Einer von ihnen ist Michael Becker. Er hat sich für die gesamte Dauer des Maimarktes freigenommen, um mitzuhelfen. Doch nicht nur das. “Ich freue mich, wenn ich Menschen wieder treffe, die ich vor anderthalb Jahren auf der Bundesgartenschau kennengelernt hat.”
Die Gartenschau, bei der die beiden Kirchen ebenfalls gemeinsam in einen “Möglichkeitsgarten” einluden, gilt als Erfolgsgeschichte. Die Arbeit an und mit der Basis hat der Kirche in Mannheim neuen Schwung verliehen, der bis heute nachwirkt und viele antreibt.
“Die Erkenntnis ist, Kirche muss heute ökumenisch, offen und menschennah sein”, lautete seinerzeit das Fazit von Karl Jung, Dekan der katholischen Kirche in Mannheim.
Offen ja, das findet auch Günter Raab, der für den Bundesverband Rehabilitation Vorträge auf dem Maimarkt hält. “Aber Reformen dürfen nicht so weit gehen, dass man die Kirche nicht mehr erkennt”, meint er. Der Kirche müsse bewusst sein, wofür sie stehe.