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Zwischen Albtraum und Spielraum

Schulranzen, aus denen es ständig piept. Schüler, die in jeder Pause über Videospielen hängen: So sieht die Realität an vielen deutschen Schulen aus. „Ein Albtraum“, findet die Elternbeirats-Vorsitzende des Münchner Theresien-Gymnasiums (ThG), Angela Wanke-Schopf, ganz persönlich. Sie ist froh über die jüngste Entscheidung des Schulforums: Ab September dürfen am ThG außerhalb des Unterrichts erst Schülerinnen und Schüler ab der zehnten Klasse ihre Handys benutzen – und nur „für schulische Zwecke“.

Das Münchner ThG ist eine der tausenden weiterführenden Schulen in Deutschland, die mit Regelungen zur privaten Handynutzung experimentieren. Eine bundeseinheitliche Empfehlung gibt es nicht, die Kultusminister der Länder hatten sich bei ihrer Konferenz im März erneut dagegen entschieden. Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) forderte nun ein Handyverbot für Grundschulen – nicht mal bei den Jüngsten sind sie bundesweit verbannt. So werkelt jede Schule mit dem Problem vor sich hin.

Bayern hat im Grunde eine klare Regelung: In Grundschulen sind Smartphones verboten. An Gymnasien, Mittel- und Realschulen dürfen sie nach dem Gesetz nur benutzt werden, wenn es die Schule erlaubt: „Gibt sich eine Schule keine schuleigene Nutzungsordnung, gilt grundsätzlich ein Handyverbot“, schreibt das Kultusministerium auf seiner Website.

So bleibe den weiterführenden Schulen Spielraum, um „auf die konkrete pädagogische Situation vor Ort einzugehen“, so das Ministerium. Im Internet stellt es ein „Informations- und Unterstützungsportfolio“ bereit. An der einzelnen Schule können dann Lehrkräfte, Schüler- und Elternvertreter im Schulforum gemeinsam eine Nutzungsordnung beschließen.

Am Münchner ThG galt bislang ein differenziertes Modell, das den Sorgen und Nöten aller gerecht werden wollte: Bereits Achtklässler durften Handys benutzen, ab der zweiten Pause, in bestimmten Räumen. Doch diese Regelung war laut Schulleiterin Judith Nitsch „zu kompliziert“, vor allem für die Lehrkräfte, die für deren Einhaltung Sorge tragen mussten. Auch forderten zunehmend Stimmen aus Lehrer- und Elternschaft aus pädagogischen Gründen ein komplettes Verbot.

Zu diesem kam es nun deswegen nicht, weil die Schüler ab der zehnten Klasse ohnehin Tablets im Unterricht nutzen. Zudem begründeten sie gut, warum sie auch in Pausen und Freistunden ihr Smartphone gerne als Lernmittel verwenden. Lehrer und Eltern entschlossen sich, darauf zu vertrauen, dass ältere Schüler die Nutzung mit zunehmender Reife eigenverantwortlich steuern können.

Wie komplex die Diskussionslage ist, zeigt die Ministeriums-Website, die Pro- und Contra-Argumente auflistet. Für eine schuleigene Regelung spreche, dass Smartphones heute zur Lebensrealität der Jugendliche gehören und sich Schule vom reinen Lernort zum Lebensraum entwickle. Zudem trage Schule so zur Medienerziehung bei: Ist die Schulregelung „medienpädagogisch begleitet“, setzten sich Schüler verstärkt kritisch mit dem Thema auseinander – wie am ThG. Zudem, so das Ministerium, passierten bei einer individuellen Ordnung womöglich weniger Verstöße.

Gegenargumente lauten: Auch eine schuleigene Regelung sei für die Lehrkräfte aufwendig zu kontrollieren. Zudem gebe es berechtigte Sorgen, dass das Handy-Suchtpotenzial und das Cybermobbing weiter zunehmen könnten, sowie dass Jugendliche dann noch weniger Bewegung und „echte“ Kontakte hätten – was auch Wanke-Schopf fürchtet.

Nach der jüngsten repräsentativen Schülerbefragung der Bitkom haben bundesweit 94 Prozent der weiterführenden Schulen Regeln festgelegt. 17 Prozent der Schulen verbieten die private Nutzung, 77 Prozent haben spezielle Ordnungen. Dieser deutschen Vielfalt stehen Beispiele aus anderen, häufig für ihre digitalen und pädagogischen Innovationen gefeierten Ländern gegenüber: So plant etwa Dänemark ein vollständiges Smartphone-Verbot an Schulen, sogar für die schulische Nutzung.

Ob Handys für den Unterricht selbst genutzt werden, entscheidet in Bayern allein die Lehrkraft – etwa für Recherchen oder Quizspiele wie „Kahoot“. Laut Bitkom werden 70 Prozent der Schüler manchmal aufgefordert, ihr Handy im Unterricht zu verwenden. 93 Prozent wollen, dass es im Unterricht für den Wissenserwerb eingesetzt wird. Das Münchner JFF-Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis fordert „ein reflektiertes Zusammenspiel aus privater und lernorientierter Nutzung“.

Bei der privaten Handynutzung plädiert der Münchner Digitaltrainer Daniel Wolff bis einschließlich neunte Klasse für ein „hartes“ Handyverbot, bei dem die Geräte in Schließfächern oder Handyboxen weggesperrt werden („away for the day“). Das funktioniert etwa an der Münchner Anne-Frank-Realschule schon länger ziemlich gut, wie vom Elternbeirat zu hören ist. Die Handys nur auszuschalten könne dazu führen, „dass mancher Klassenchat auch während des Unterrichts weiterläuft und manche Pausen in TikTok-Sessions auf der Schultoilette ausarten“, sagte Wolff dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Freilich ist auch das Wegsperren nicht simpel: Manche Schüler stecken einfach ein altes Zweithandy in die Box, ist zu hören. Laut Bitkom-Studie halten sich 37 Prozent der Schüler häufig nicht an die Regeln. Die möglichen Folgen – etwa das Einkassieren von Smartphones, Nachsitzen oder Anrufe bei den Eltern – nehmen sie in Kauf. 68 Prozent der Schüler erleben, dass Lehrkräfte die Regeln unterschiedlich streng umsetzen.

Wolff sagt: In den Schulen, die „away for the day“ praktizieren, höre er „nur Gutes“ – von den Kindern selbst. „Sie sagen, dass es am Anfang ‘sehr schwer’ sei“, aber schnell besser werde: Man rede wieder mehr miteinander, und gelacht werde auch wieder mehr. Dies hält Wolff für „die richtige Lösung für alle Schulen in Deutschland“. Ab der zehnten Klasse seien Jugendliche selbstreflektiert und medienerfahren genug für ein „weiches“ Verbot – also Handys nur auszuschalten -, das ebenso einheitlich gelten sollte: „vor allem, um die überforderten Schulen vor endlosen Debatten zu schützen“. (1724/23.05.2025)