Senioren am Steuer haben einen schlechten Ruf. Die EU-Kommission drängt auf verpflichtende Tauglichkeitstests für über 70-Jährige. Doch der Bundesverkehrsminister will das verhindern.
Ein 84-Jähriger rast mit dem Auto in ein Straßencafe, weil er Brems- und Gaspedal verwechselt hat. Die Polizei stoppt einen verwirrten Senioren als Geisterfahrer. Solchen Schlagzeilen folgt in schöner Regelmäßigkeit eine Debatte darüber, ob Senioren künftig regelmäßig zum Führerschein-TÜV gehen müssen.
Jetzt hat sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) öffentlichkeitswirksam gegen neue Bevormundungen von Senioren gewandt. “Ich wehre mich dagegen, dass der Einzelne immer mehr zum Objekt gemacht wird, sich Zwangsuntersuchungen unterziehen und nach Vorschriftskatalog seinen Alltag gestalten muss”, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag).
Konkret wandte sich Wissing gegen Pläne der EU-Kommission, die Regeln für Führerscheininhaber ab 70 Jahren zu verschärfen. “Ich will keine verpflichtenden Tauglichkeitsprüfungen für Autofahrer über 70, und ich bin zuversichtlich, dass sich dafür in der EU auch keine Mehrheit finden wird”, sagte der FDP-Politiker.
Der Entwurf einer neuen europäischen Verkehrsrichtlinie sieht vor, dass Autofahrer ab 70 Jahren alle fünf Jahre den Führerschein auffrischen müssen. Dabei soll auch ihr Gesundheitszustand durch eine ärztliche Untersuchung oder durch eine Selbsteinschätzung abgefragt werden. In einigen EU-Ländern ist das bereits Praxis. Die Richtlinie soll dazu beitragen, die Zahl der Verkehrstoten bis 2050 auf Null zu bringen. 2022 starben in EU-Ländern 20.600 Menschen im Straßenverkehr.
Sind Senioren hier eine Hochrisikogruppe? Das Statistische Bundesamt hat im Frühjahr Zahlen vorgelegt, die verschiedene Interpretationen zulassen: Danach waren ältere Menschen 2021 – gemessen am Anteil an der Gesamtbevölkerung – seltener in Verkehrsunfälle verwickelt als jüngere. Konkret waren 66.812 Menschen ab 65 Jahren an Unfällen mit Personenschaden beteiligt. Das waren 14,5 Prozent aller Unfallbeteiligten. Der Anteil dieser Altersgruppe an der Bevölkerung liegt aber bei 22,1 Prozent.
Experten verweisen allerdings darauf: Die geringere Unfallbeteiligung dürfte daran liegen, dass ältere Menschen seltener fahren. Auch gebe es weniger Führerscheinbesitzer. Zugleich waren Unfälle mit Älteren aber häufig gravierender. So trugen sie in mehr als zwei Drittel der Fälle die Hauptschuld – weil sie die Vorfahrt genommen hatten oder beim Abbiegen, Wenden und Anfahren Fehler machten.
Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer, sagte damals, die Altersgruppe der 65- bis 75-Jährigen zeige in der Regel noch keine Auffälligkeiten. “Die Dramatik steigt ab 75 Jahren.” Es handele sich allerdings um rein statistische Werte: “Es gibt auch 80-Jährige, die super fahren können, und 65-Jährige, die bereits Schwierigkeiten haben.”
Ein Entzug des Führerscheins würde für viele Senioren einen großen Einschnitt und auch eine Demütigung bedeuten, wie auch Wissing betonte. Das Auto sei für viele – insbesondere auf dem Land – ein zentrales Mittel zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Auch der ADAC lehnt Zwangstests ab. Senioren seien keine schlechteren Autofahrer. “Zwar kann es mit zunehmendem Alter zu Leistungseinbußen kommen, dennoch ist das Unfallrisiko älterer Kraftfahrer nicht außergewöhnlich hoch”, so der Verkehrsclub. Eine gesetzliche Verpflichtung zu Eignungstests sei “nicht verhältnismäßig”. Denn gerade ältere Verkehrsteilnehmende zeichneten sich durch einen situationsangepassten Fahrstil sowie vorausschauendes Fahren aus.
Auch der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) teilt diese Einschätzung. Verpflichtende Fahreignungstests für ältere Pkw-Fahrende seien “derzeit nicht das erste Mittel der Wahl”, erklärte Verbandspräsident Manfred Wirsch vergangene Woche. Der DVR rät Senioren zu freiwilligen Gesundheitschecks sowie zu fahrpraktischen Maßnahmen. Auch eine “Rückmeldefahrt” wird empfohlen: Dabei können Senioren eine Fahrt mit Fahrsicherheitsexperten buchen. Sie erhalten dann eine individuelle Einschätzung, um die Fahrkompetenzen in realen Verkehrssituationen zu reflektieren.