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„Wir müssen uns auch ändern!“

Falko Becker, Jahrgang 1965, ist seit 20 Jahren Kreisjugendpfarrer in der Uckermark. Nun hört er erstmal auf, denn seine Stelle läuft aus. Für ihn steht ein Sabbatjahr an. Im Interview mit „die Kirche“ erzählt er, was ihn bewegt, was er bewegt hat und was eine Kirche braucht, um in Bewegung zu kommen

Von Katharina Körting

Wie kam es dazu, dass Sie Jugendpfarrer wurden, Herr Becker?

Die einfachste Antwort ist: Ich denke, ich habe einen Draht zu Jugendlichen. Damals habe ich das nicht so reflektiert. In der katholischen Gemeinde war ich Dekanats­jugendsprecher und habe dann ehrenamtlich die Jugendarbeit in der evangelischen Gemeinde Schwedt gemacht, noch ehe ich konvertierte. Vorher habe ich in Potsdam Tischler gelernt, dann zwei Jahre im Schwedter Kinderheim gearbeitet. Aber der liebe Gott hat die Berufung zum Pfarrer irgendwie mehrmals laut gemacht. 1991 habe ich angefangen, evangelische Theologie zu studieren. In meiner ersten Pfarrstelle war ich mit 60 Prozent im Gemeindepfarramt und seit 2002 mit 40 Prozent Kreisjugendpfarrer. Seit 2011 binich in Vollzeit Jugendpfarrer mit Dienstsitz in Gramzow, das liegt zwischen Angermünde, Schwedt und Prenzlau. 

Kam Ihnen die Tischler-Ausbildung als Pfarrer zugute?

Wir haben mal Cajons (Kistentrommel) gebaut (lacht). Und bei Kirchenbauprojekten hilft das natürlich auch. Aber in der Jugendarbeit liegt mein Schwerpunkt auf der Musik, vor allem auf der Arbeit mit Bands. Das ist meine Leidenschaft – ich spiele Gitarre. Wir proben einmal in der Woche und begleiten alle großen Jugend-Events im Kirchenkreis. Auch beim Kirchentag sind wir mehrmals aufgetreten.

Hat sich die Arbeit mit der Wende, dem politischen Umbruch verändert?

In der Umbruchzeit war es hochpolitisch, 1987, 1988, 1989. Wir haben Flugblätter gegen Kriegsspielzeug gemacht, ich habe dazu eine Stasiakte. Später, nach der Wende, habe ich Vorträge vor allem in Schulen gehalten über die Wendezeit (lacht). Aber Anfang November 1989 wurde ich noch zur Armee eingezogen, als Bausoldat, weil ich den Dienst an der Waffe verweigert habe. 

Ich bin dann erst nach dem Theologiestudium wieder in die Jugendarbeit gegangen. Natürlich ist es ein anderes Arbeiten jetzt, nicht mehr heimlich, mit Angst und im Verborgenen. Aber Jugendarbeit bleibt politisch, deswegen ist es für mich gar nicht so ein großer Unterschied, auch wenn die Rahmenbedingungen andere sind. Jugendliche sind auf der Suche, sie brauchen Vorbilder, sie brauchen Reibungsfläche. Das gehört untrennbar zum Erwachsenwerden dazu, egal in welchem System. Ich denke, es ist gut, wenn es da noch eine Instanz neben Eltern und Schule gibt. Es macht mir Freude, Jugendliche auf ihrem Weg zu begleiten: sich eine eigene Meinung zu bilden, die Werte des Evange­liums dann auch alltagstauglich zu machen. 

Wie beeinflusst die Jugend­arbeit den Rest der Kirche?

Ich habe neue Strukturen in der Jugendarbeit für eine größere Region aufgebaut: Die Fusion von zwei Kirchenkreisen war eine Herausforderung. Wir sind mit großen Events durch die Region gezogen, so dass alle davon profitieren, aber sich auch alle bewegen müssen. Ich glaube, die Jugendarbeit hat vorweggenommen, was viele Gemeinden jetzt erst vollziehen oder noch vor sich haben: über den Tellerrand schauen, in der Heimatgemeinde Kirche leben, aber in größeren Strukturen denken. Die Jugend­lichen haben das fröhlich mitgemacht. Sie haben schnell gelernt, dass Kirche mehr ist als die eigene Bankreihe in der Kirche, in der man immer sitzt. 

Wenn Sie zurückschauen: Was hat Sie am meisten bewegt? 

Am wichtigsten ist es mir, die Arbeit mit der Band im Kirchenkreis fruchtbar zu machen. Und ein Projekt hat mich ganz besonders berührt: „Wunder reloaded“. Da haben Jugendliche biblische Geschichten in ihren Alltag übersetzt. Das war 2018, da kam ganz viel Engagement auch von den Jugendlichen. Auch ein Buch ist daraus entstanden, mit 13 Wundergeschichten als Comics im Manga-Stil. Wir sind ein Jahr lang durch alle Pfarrsprengel gefahren, jeden Monat ein Sonntagsgottesdienst mit einem anderen Wunder-Thema. Und wir haben 1000 Euro Spenden gesammelt und an „Uckermark gegen Leukämie“ gespendet.

Erreichen Sie mit Ihrer Arbeit auch Jugendliche, die keinen Bezug zur Kirche haben?

Ja, absolut! Ein nicht-getauftes Mädchen, das jetzt Abitur macht, wird FSJlerin bei uns in der Jugendkirche. Die findet genau das gut: dass keiner ihr Druck macht mit der Taufe. Die meisten sind kirchlich sozialisiert, aber immer wieder bringt jemand Freunde mit, die das nicht sind, auch zu Rüstzeiten. Die Gruppen sind offen für alle, und es gibt immer wieder Jugendliche, die dort andocken, weil sie woanders gar keine Chance haben. Bei uns erfahren sie eine Gruppe, in der sie nicht gemobbt oder ignoriert werden. Das finde ich wunderbar. Die müssen dann halt nur damit klarkommen, dass der liebe Gott bei uns eine Rolle spielt.

Haben gesellschaftliche Entwicklungen wie die Digitalisierung Einfluss auf die Jugendarbeit?

Ich habe selber eine hohe digitale Affinität und das deshalb nie als etwas erlebt, das über mich hereinbricht. Aber die Jugendlichen müssen natürlich aushalten, dass ich nicht alles mitmache, Tiktok und WhatsApp zum Beispiel. Als Facebook WhatsApp übernommen hatte, entschied unser Teamerrat, unseren FB-Auftritt als Jugendkirche zu löschen, damit wir keine Daten leichtfertig rausgeben. 

Digitale Sucht ist nur vereinzelt ein Thema. Eher sind digitales Mobbing und Hetze ein Problem. Und dass es so viel ist: Die Jugend­lichen kommen oft gar nicht hinterher, bei den zig Gruppen und Chats, in denen sie aktiv sind. Wir sind beim Messengerdienst Threema, da werden die Gruppen nicht zugespammt, keiner wird beleidigt, das erleben die Jugendlichen als sehr angenehm. So schaffen wir einen geschützten digitalen Raum. 

Haben Sie Ideen, wie man auch die jungen (und älteren) Erwachsenen an die Kirche binden kann?

Da rennen Sie bei mir offene Türen ein! Bei den Jugendgottesdiensten sind ja meistens auch die Eltern dabei, als Chauffeure, und danach sind die ganz oft zu mir gekommen und sagten, Herr Pfarrer, wenn Sie sowas mal für uns machen könnten, über Midlife-Crisis (statt Jugendliebe), eine Veranstaltung, mit Bandmusik. Da gibt es eine Lücke in der Kirche. Wir haben für Eltern und andere, die voll im Beruf stehen, zu wenig Angebote. Und dann gehen die halt zu Kochkursen oder zum Tanzen und kommen nicht in die Kirche. Für eine vernünftige Elternarbeit unabhängig von den Kindern gibt es Bedarf. 

Was braucht es unbedingt in Ihrem Alltag als Pfarrer?

Egal, mit welchen Menschen man arbeitet – die Reflexion über das eigene Tun darf nicht fehlen. Der konstruktiv-kritische Blick von außen. Die Gefahr ist ja da, dass wir als Pfarrer so kleine Könige werden, das tut niemandem gut. Deshalb ist mir Teamarbeit so wichtig. Mit der Kollegin Dorina Heß in Prenzlau, den Teamern und Teamerrats läuft die Zusammenarbeit sehr gut. 

Haben Sie eine Vision für die Jugendarbeit der Kirche?

Für mich kann ich das auf zwei Schlagworte bringen: Beteiligung, so viel wie es geht. Und Wertschätzung. Das ist mein Credo. Und das wünsche ich mir: dass wir Menschen haben, die von Begeisterung getragen sind – die mögen, was sie tun. Die da eine Berufung spüren. Und die Beziehungen fruchtbar machen. Der richtige Mensch zur richtigen Zeit am richtigen Ort – das ist das Salz der Erde. Und wenn da etwas nicht richtig ist, der Ort oder die Zeit oder der Mensch, muss man auch den Mut haben, etwas zu ändern. Wir müssen uns auch verändern!

Und wohin verändern Sie sich?

Für mich ist das Auslaufen der Stelle jetzt eine gute Zäsur. Ich werde mehr Zeit für meine Familie haben. Ich habe vier Kinder und sieben Enkelkinder und möchte es endlich mal schaffen, sie alle zu ihren Geburtstagen auch zu besuchen (lacht). Und ich will reisen, Ruhe finden, vielleicht an einem norwegischen Fjord: mal hören, was der liebe Gott noch mit mir vorhat.

Mehr Informationen über die Jugend­arbeit im Kirchenkreis Uckermark: www.sterneundmon.de