Frankfurt a.M. Vor dem Haus aus rotem Sandstein haben sich rund 20 Leute versammelt, Mitglieder der Initiative Stolperstein Frankfurt am Main und Journalisten. Ein Mann steigt aus einem roten Kastenwagen vor der Rotlintstraße 41, blaues Hemd, braune Weste, Cowboyhut und Handschuhe. Der Kölner Künstler Gunter Demnig (70) schleppt drei Eimer an. Zwei Mitglieder der Initiative entfalten ein Transparent "Steine gegen das Vergessen", eine Frau hält Rosen in der Hand, aus einem Lautsprecher klingen ernste Geigentöne.
Demnig stemmt mit einem Eisen aus dem Bürgersteig einen Pflasterstein heraus, den die Stadt vorher schon lockern ließ. Er spachtelt Erde aus dem Loch und setzt einen Betonwürfel mit zehn Zentimetern Kantenlänge ein. Auf dessen Oberseite glänzt eine Messingplatte golden. Mit einem Hammer klopft er den Würfel fest, füllt das Loch mit kleinen Pflastersteinen und Sand auf und fegt die Stelle sauber. Auf der Messingplatte ist ein Name eingraviert: Willy Zimmerer. Ebenso dessen Lebensdaten, das letzte lautet: "Heilanstalt Hadamar ermordet 18.12.1944". Der Gedenkstein ist der 70.000 Stolperstein, den Demnig verlegt hat.
Unermüdlich auf Reisen für die Steine
"Es sind 70.000 Steine zu viel", sagt Demnig. "Die Nazis haben das Vergasen mit den Behindertenmorden begonnen", erinnert der Künstler. Initiiert haben die Verlegung Michael Hayse und Patricia Haller aus den USA. Ihre Großmutter war eine Cousine von Zimmerer. "Die Verlegung bedeutet uns sehr viel", sagt Hayse auf Deutsch, und seine Stimme stockt. "Willy gerät nicht in Vergessenheit." Die Pfarrerin Melanie Lohwasser hält fest: "Der Mensch ist zu Gottes Ebenbild geschaffen – das gilt auch für Willy Zimmerer und alle Opfer der Schoah." Acht Rosen liegen am Ende der kleinen Zeremonie neben dem Gedenkstein.
Den ersten Stolperstein für die Opfer des Nationalsozialismus verlegte Gunter Demnig am 3. Mai 1996 in der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg. Seither reist er unermüdlich von Ort zu Ort, er hat Gedenksteine in mehr als 1.200 Gemeinden in Deutschland und in weiteren 24 Ländern vor den letzten freiwilligen Wohnorten der Opfer verlegt. Rund 60.000 Kilometer legt er im Jahr mit dem Auto zurück.
"Das Interesse von jungen Leuten und von Angehörigen treibt mich an", sagt der Künstler. Er selbst habe keinen biografischen Bezug zu Tätern oder Opfer der rassistischen Morde. "Mein Vater war bei der Legion Condor und im Krieg", berichtet Demnig. "Erzählt hat er darüber nie."