Gendern, AfD und Gänsebraten – an Weihnachten lauern genug Themen, die die Stimmung vermiesen können. Kommunikationsexpertin Marie-Theres Braun gibt Tipps, wie man trotzdem Harmonie schafft.
Von wegen besinnlich: Wenn die Familie an Weihnachten zusammenkommt, geht es nicht selten hoch her. Da verkündet die Tante, bei der kommenden Bundestagswahl die AfD wählen zu wollen, und der Opa und die Enkelin streiten um das leidige Thema “gendern”. Konflikte an Heiligabend und den Weihnachtstagen sind in vielen Familien so gut wie vorprogrammiert. Nach Worten von Marie-Theres Braun, Kommunikationstrainerin, muss es aber nicht zum Streit kommen. Und selbst wenn sich doch eine Auseinandersetzung anbahnt, gibt es laut Braun einige Strategien, um die Gemüter schnell wieder abzukühlen.
“Wir kommen alle aus einem anstrengenden Jahr, sind zusätzlich gestresst von den Weihnachtsvorbereitungen und haben dadurch weniger Empathie für andere übrig. Wir sind gereizt”, erklärt die Expertin für Kommunikationspsychologie aus Stuttgart. Damit sich nicht alle Spannungen an Weihnachten entladen, rät sie zum bewussten “Entstressen” ein bis zwei Tage vor dem Fest. Laut Braun muss die Devise “Vorbeugen statt Feuerlöschen” heißen. “Eine Idee ist zum Beispiel, vorher anzurufen und zuerst einmal eine positive Beziehungsbotschaft zu senden: ‘Ich freue mich darauf, euch wiederzusehen.’ Dann kann man Wünsche und Bedenken formulieren”, sagt Braun.
Das könne etwa so aussehen: “Wir wissen ja beide, dass wir bei dem Thema gendern/Fleisch essen/Studieren unterschiedlicher Meinung sind. Hast du eine Idee, was wir machen können, wenn wir uns wieder zum Streit aufschaukeln?” Laut Braun helfen vorher gemeinsam besprochene Regeln, Konflikte zu vermeiden. So könne die Regel lauten, dass jeder das Recht hat, ein kontroverses Thema nach fünf Minuten zu wechseln, sobald es zu hitzig wird. “Man kann aber auch vereinbaren, dass manche Themen gar nicht erst angesprochen werden.” Für sich selbst könne man auch Regeln aufstellen wie etwa: “Wenn ein Thema den Puls steigen lässt, dann atme ich erstmal tief durch.”
Allerdings lasse sich nicht jede Auseinandersetzung unterbinden. Streit gehöre dazu, sagt die Expertin. “Es ist ganz normal und menschlich, dass Konflikte auftreten. Es ist ein Zeichen von Lebendigkeit und Teil einer gesunden Gesprächskultur.” Dennoch sei es hilfreich, Pausen für sich einzuplanen. “Sie können sich vorher zum Beispiel überlegen, dass sie einen Spaziergang allein mit ihrem Mann machen – ohne die Schwiegereltern.” Die womöglich schon angespannten Nerven ließen sich durch diese Auszeit wieder beruhigen.
Wenn kein Spaziergang oder Durchatmen mehr hilft und der Streit doch ausbricht, empfiehlt Braun, kooperativ zu diskutieren. “Es gibt dabei aber nicht die drei Gesprächstechniken”, sagt Braun, die vergangenes Jahr ein Buch dazu veröffentlicht hat, wie man Menschen überzeugt, die Recht haben wollen. “Aber zwischen dem übermäßigen Verständnis und der klaren Kante liegt ein breiter Raum, der oft nicht genutzt wird.” Die Sprechwissenschaftlerin erklärt an drei Beispielen, wie Streit an Weihnachten entschärft werden kann:
Zunächst sollte man sich laut Braun weder beim Thema AfD noch beim Gendern oder anderen kontroversen Gesprächsgegenständen den Druck auferlegen, das Gegenüber an Weihnachten von der eigenen Meinung zu überzeugen. “Das bekommt man an einem Tag nicht geklärt, dafür braucht es mehr als ein Gespräch”, sagt Braun. Weiter beobachtet die Trainerin aber, dass sich Menschen in solchen Wertediskussionen gegenseitig das Extreme vorwerfen. Da wird die junge Frau, die Wert auf geschlechtergerechte Sprache legt, zum “unzufriedenen Weichei”, der ältere Herr, der sich dem Gendern verweigert, zum “rücksichtslosen alten weißen Mann”.
“Man sollte den positiven Kern im anderen sehen”, mahnt Braun. Beim Gender-Gegner etwa seinen Pragmatismus, bei der Gender-Befürworterin ihre Sensibilität. “Das kann man im Gespräch wertschätzen, dann aber andeuten, dass man es selbst anders sieht.” Und weil Weihnachten ist rät die Trainerin dazu, im Anschluss abzulenken: “Man kann dann sagen, dass man es ungern heute ausdiskutieren will oder auf ein anderes Thema zu sprechen kommen.”
Braun rät, nicht zu schnell und bereitwillig in die Rolle eines Mediators zu gegen, wenn sich etwa die Schwester und ihr Mann oder die eigenen Eltern an Weihnachten zoffen. “Man sollte das Gefühl loslassen, es wäre allein von einem selbst abhängig, dass Weihnachten schön wird. Auch andere tragen dafür Verantwortung”, so die Expertin für Kommunikationspsychologie.
Dennoch könne man versuchen zu vermitteln, sollte den Streit aber erst einmal zulassen, denn: “Manchmal hilft es, wenn Menschen mal zehn Minuten Dampf ablassen können.” Anschließend könne man die Standpunkte beider Streithähne paraphrasieren und so für sie Verständnis zeigen: “Dir scheint es wichtig zu sein, dass … und dir scheint es wichtig zu sein, dass jenes…” Daraufhin könne man beide fragen, ob sie den Streit jetzt austragen wollen – oder lieber vertagen möchten. “An Weihnachten kann letzteres ausnahmsweise eine gute Option sein”, sagt Braun.
Statt Gänsebraten gibt es Kartoffelsalat und Geschenke fallen dieses Jahr ganz aus: Wer viele Zugeständnisse an andere macht, sollte das auch kommunizieren: “Ich bin euch gerne entgegengekommen. Deswegen ist meine Bitte, dass ihr mir bei anderen Dingen entgegenkommt, damit es für mich und für euch ein schönes Weihnachten wird.” Viele Menschen täten sich schwer damit, eine freundliche Bitte zu formulieren, berichtet Braun. Es dürfe aber ruhig ausgesprochen werden, was man sich wünscht und zudem deutlich gemacht werden, dass man Kompromisse für den anderen eingeht: “Die Hürde muss sichtbar sein.”
Die Kommunikationsexpertin rät zudem dazu, bereits vor Weihnachten eigene Idealvorstellungen loszulassen. “Weihnachtsfilme und Social Media wecken oft Erwartungen an ein perfektes Weihnachtsfest. Davon sollten sie sich verabschieden, sonst sind sie schon ab der Begrüßung enttäuscht.”