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Wie eine Erdbeere, nur nicht essbar

Beim Stichwort „Moor“ denken manche zuerst an Krimis, Nebel und Moorleichen. Anderen fällt sofort der menschliche Raubbau ein, denn 95 Prozent der deutschen Moorflächen gelten als zerstört. Ein vielfacher Verlust, bietet doch etwa das Murnauer Moos in Bayern rund 1.000 Pflanzenarten eine Heimat, dazu Wiesenbrütern wie dem Braunkehlchen und vielen anderen Tieren. Um für den Schutz der Moore zu werben, hat die Loki Schmidt Stiftung aus Hamburg eine Moorblume zur „Blume des Jahres 2025“ ernannt: das Sumpf-Blutauge. Im Volksmund wird es unter anderem Teufelsauge, Blutstropfen oder Sumpf-Fingerkraut genannt. Lateinisch hat es ebenfalls zwei Namen: Comarum palustre oder Potentilla palustris.

Die blutrote Schönheit braucht helle, nasse und nährstoffarme Standorte. Sie wächst vor allem am Rand von Hochmooren und auf schlammigen Böden von Niedermooren. Auch in nährstoffarmen Gräben und am Ufer von Gewässern ist sie zu finden – sofern das Wasser steht oder nur sehr langsam fließt. Das kältefeste Sumpf-Blutauge ist auf der nördlichen Erdhalbkugel in Europa und Nordamerika verbreitet, auch in Sibirien, Island und Grönland. In den Alpen kann es bis auf rund 2.000 Höhenmetern vorkommen.

War das Sumpf-Blutauge früher großflächig verbreitet, steht es inzwischen in sämtlichen Bundesländern auf der Roten Liste gefährdeter Arten. In Baden-Württemberg und Bayern ist es wie in den meisten anderen Bundesländern auf Stufe 3 (gefährdet) eingestuft. In Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen steht es nur auf der Vorwarnliste.

Es blüht von Mai bis August. Mit seinem Nektar und Pollen lockt es vor allem Wildbienen, Hummeln und Fliegen an. Für die Vermehrung hat das Sumpf-Blutauge mehrere Strategien. Seine Fruchtnüsschen haben eine Hakenspitze und bleiben im Gefieder von Wasservögeln hängen. Die Samen können bis zu zwölf Monate lang an der Wasseroberfläche treiben, bis sie zu einem geeigneten neuen Wuchsort getrieben werden. Die Erdsprosse des Sumpf-Blutauges, Rhizome genannt, wachsen im Wasser oder im Schlamm bis zu einem Meter zur Seite und treiben dann wieder aus.

Das Sumpf-Blutauge gehört zur Familie der Rosengewächse. Zu dieser Familie gehören auch Obstsorten wie Apfel oder Erdbeere. Obwohl das Sumpf-Blutauge keine essbaren Früchte hat, erinnert sein Fruchtstand optisch an eine Erdbeere – eben ohne Fruchtfleisch. Die Pflanze muss sich nicht mit Stacheln gegen Fressfeinde wehren, doch die 20 bis 70 Zentimeter langen Stängel sind oft flaumig bis zottig behaart.

Der rote Farbstoff des Sumpf-Blutauges wurde früher zum Färben und Gerben genutzt. Es gilt auch als Heilpflanze, wurde vor allem bei Durchfall eingesetzt. Noch heute wird es in Osteuropa bei Rheuma und Arthritis verwendet. Aus den Blättern lasse sich ein Tee kochen, sagt der Biologe André Palm, Mitarbeiter der Loki Schmidt Stiftung. Wer Interesse an diesem Schwarzteeersatz habe, solle aber die geschützte Pflanze nicht selbst sammeln, sondern in der Apotheke die fermentierten Blätter kaufen.

Als 46. Blume des Jahres wirbt das Sumpf-Blutauge für den Schutz seines gesamten Ökosystems. Ein Moor besteht bis zu 95 Prozent aus Wasser und ist ein hervorragender Kohlendioxidspeicher: Obwohl Moore nur drei Prozent der Erdoberfläche bedecken, sind sie laut Loki Schmidt Stiftung als CO₂-Speicher genauso effektiv wie alle Wälder des Planeten zusammen. Sie binden ein Drittel des terrestrischen Kohlenstoffs. Wird ein Moor entwässert, entweicht nicht nur Kohlendioxid, es werden auch große Mengen Methan und das extrem klimaschädliche Lachgas freigesetzt.

Die Loki Schmidt Stiftung wirbt mit dem Sumpf-Blutauge nicht nur für den Erhalt des jetzigen Zustands, sondern auch für eine konsequente Renaturierung der Moore. Der Verbrauch torfhaltiger Produkte, fordert die Stiftung, sollte gestoppt werden, der Gartenfreund keine torfhaltige Blumenerde mehr kaufen. Das Sumpf-Blutauge hingegen schon, sofern er für dessen Pflanzung einen geeigneten Standort hat: Im Gartenteich könne es zugleich das Auge erfreuen und Nahrung für Insekten bieten.