Bücher über Bücher. Und zwar nicht irgendwelche, sondern unzählige Ausgaben des „Buches der Bücher“. Die Württembergische Landesbibliothek in Stuttgart nennt eine der größten Bibelsammlungen der Welt und die größte des europäischen Festlands ihr Eigen. „Wir verfügen über rund 22.000 Bibelausgaben in 800 Sprachen“, sagt Christian Herrmann, Leiter der Sondersammlungen innerhalb der Landesbibliothek, dem Evangelischen Pressedienst (epd) nicht ohne Stolz. Aus aller Welt kämen Besuchergruppen, um die Exemplare zu bestaunen, von denen viele selten, manche sogar Unikate sind.
Zu verdanken hat die Landeshauptstadt diese einmalige Sammlung Herzog Carl Eugen von Württemberg. Im Jahr 1784 erwarb er auf einer Reise nach Kopenhagen vom Pastor der dortigen deutschen Friedrichskirche mehr als 5.000 Bibeln. In sein Tagebuch notierte er zufrieden: „Dieser Zuwachs vor meine öffentliche Büchersammlung freuet mich umso mehrers, als dieße Sammlung einzig und wohl die stärkste, wo nicht in Europa, doch gewiß in Teutschland ist.“
Im 19. Jahrhundert wuchs die Sammlung aufgrund der Säkularisierung sprunghaft an. Die Auflösung vieler Klöster bescherte der Bibliothek einen gewaltigen Zuwachs an Bibeln und theologischer Literatur. Heute sorgt vor allem das sogenannte Pflichtexemplarrecht dafür, dass die Sammlung Jahr für Jahr um rund 200 Exemplare wächst. Denn von jeder Bibel-Ausgabe, die im Südwesten publiziert wird, erhält die Bibliothek ein Exemplar. Hinzu kommen Ausgaben, die erworben, eingetauscht oder übernommen werden.
Nur auf ein Stück musste die Herzogliche Öffentliche Bibliothek, die 1918 zur Württembergischen Landesbibliothek wurde, lange verzichten: die Gutenberg-Bibel von 1454/55. Dieses Spitzenstück des Buchdrucks gilt als die Blaue Mauritius unter den Bibelausgaben. Dass sie sich heute im Besitz der Württembergischen Landesbibliothek befindet, ist dem langjährigen Leiter der Einrichtung, dem Ende September verstorbenen Hans-Peter Geh, zu verdanken.
1977 erreichte ihn ein Anruf aus New York. Die Gutenberg-Bibel des dortigen General Theological Seminary sollte versteigert werden. Weil Geh wusste, dass ein Kauf die finanziellen Möglichkeiten seiner Bibliothek übersteigen würde – das Gutenberg-Museum in Mainz hatte kurz zuvor ein ähnliches Exemplar, dem aber acht Blätter fehlten, für 1,8 Millionen US-Dollar gekauft – nahm er direkt Kontakt zu Ministerpräsident Hans Filbinger auf. Er argumentierte, dass die zu versteigernde Gutenberg-Bibel nachweislich um 1600 im Besitz der Heiligkreuzgemeinde in Offenburg gewesen und somit bedeutsam für Baden-Württemberg sei. Filbinger sicherte Geh finanzielle Unterstützung zu.
So reiste der Bücherexperte selbst zur Versteigerung nach New York. Bei zwei Millionen Dollar fiel der Hammer zugunsten der Stuttgarter. Damit war die ersteigerte Gutenberg-Bibel zu diesem Zeitpunkt das teuerste Buch der Welt. Um es sicher in die schwäbische Heimat zu überführen, bestanden Geh und seine Begleiter darauf, die Bibel im Handgepäck zu transportieren. Als Sicherheitsbeamte das ablehnten, erklärten die Stuttgarter gewitzt, sie hätten Flugangst und müssten deswegen über den Wolken in der Bibel lesen. So landete die Gutenberg-Bibel am Ende wohlbehalten in der Württembergischen Landesbibliothek.
Die Stuttgarter Büchersammlung beherbergt unzählige weitere Schätze und Kuriositäten, so etwa eine nur fünf mal fünf Zentimeter kleine Bilderbibel von 1690 mit je 132 Bildtafeln zum Alten und zum Neuen Testament. Oder – gewissermaßen als Gegenstück dazu – eine gut 20 Kilogramm schwere Weimarer Kurfürstenbibel von 1720. Die derzeit wertvollste Bibel ist die sogenannte 36-zeilige Gutenberg-Bibel aus dem Jahr 1461. Sie verdankt ihren Namen der Anzahl der gedruckten Zeilen pro Spalte. Versichert ist sie „deutlich im siebenstelligen Bereich“ – aber ihr kulturell-geistiger Wert ist laut Christian Herrmann kaum zu beziffern.
Eine Lieblingsbibel hat Herrmann nicht. „Alle Ausgaben sind auf ihre Weise faszinierend“, sagt er. Das ungebrochene Interesse am Buch der Bücher freut den promovierten Theologen. Dass über die Zeiten hinweg so viel Mühe und Aufwand in die Gestaltung des Buches der Bücher investiert wurde, deutet für ihn darauf hin, dass es sich bei der Bibel nicht nur um interessante antike Literatur handelt, „sondern um ein Dokument des Redens und Wirkens Gottes“. Herrmann: „Die Bibel tut etwas mit den Menschen – und das, bevor sie anfangen, etwas mit ihr zu tun.“ (2447/16.10.2023)