Kirchliche Angebote für Menschen zwischen 20 und 30 Jahren sind rar. Das Evangelische Erwachsenenbildungswerk startete ein Projekt, eine Studienreise durch Israel und Palästina für 26 junge Menschen. Sie reisten vom See Genezareth bis in die Wüste.
Unsere älteste Gesprächspartnerin war 85 Jahre alt. Eine Jüdin. Mitbegründerin der israelischen Frauenorganisation „Machsom Watch“, die 2008 für ihre Menschenrechtsarbeit den Aachener Friedenspreis erhielt. „Heute wird unser Engagement von vielen hier im Land angefeindet“, erklärt sie uns gleich zu Beginn. Klein und energisch wirkt sie, also sie vorne in unserem Reisebus das Mikro in die Hand nimmt und von ihrem „Ehrenamt“ erzählt.
Zuvor hatte unsere Gruppe den Bethlehem Checkpoint passiert. Zu Fuß. Diesen Ort, an dem die Palästinenser zu Tausenden jeden Tag Schlange stehen, um zur Arbeit zu kommen, zu einer Behandlung, die es nur im Krankenhaus in Jerusalem gibt, oder einfach nur, um ihre Enkel zu sehen.
Touristenbusse werden normalerweise durchgewinkt, denn die israelischen Behörden haben kein Interesse daran, dass Touristen die täglichen Prozeduren und Dramen, die sich hier abspielen, miterleben. Wir hatten Glück: Es war Schabbat, arbeitsfreier Tag in Israel. Die Schlangen kurz. Vor allem alte Menschen warteten mit uns in den Schleusen, umgeben von israelischen Soldaten.
Wir zeigten unseren deutschen Pass und wurden durchgewinkt, folgten den von hohen Gittern umsäumten Gängen, auf die eine weitere und noch eine Kontrolle erfolgte. Als wir nach mehreren hundert Metern wieder ins Freie kamen, drehten wir uns um. Kein Palästinenser in Sicht. Alle, die vor uns in der Schlange gestanden hatten, steckten irgendwo hinter uns noch in den Kontrollen fest.
Dafür empfing uns Judith von Machsom Watch. Sie gehört zu den Mitbegründerinnen dieser Bewegung vor fast zwanzig Jahren. „Wir sind 400 Frauen, aber ohne Büro, ohne Hierarchie. Es gibt keinen Chef. Das wollen wir nicht“, sagt sie. „Jeden Tag sind einige von uns an den Checkpoints. Wir sind einfach da und beobachten, was passiert.“
Machsom Watch gibt es seit 18 Jahren. Auch viele ältere Frauen sind hier aktiv. Judith zum Beispiel hat vor Jahrzehnten ihren Militärdienst geleistet, nach Familienphase und Berufsleben wollte sie sich noch einmal sinnvoll für ihr Land engagieren. „Wir schreiben viele Briefe an die Militärgerichte“, erklärt sie uns. „Es gibt dort sogenannte ‚Schwarze Listen‘. Wer von den Palästinensern wann aus welchem Grund darauf kommt, ist völlig undurchsichtig, oft auch willkürlich. Aber wer draufsteht, erhält oft über Jahre keine Erlaubnis mehr, die Grenzen zu passieren. Man kann dann zum Beispiel seine Kinder nicht mehr besuchen, obwohl diese nur zwei Kilometer weiter wohnen. Ich bin alt, aber schreiben kann ich noch.“ Und dann sagt sie diesen Satz, an den wir im Laufe unserer Reise oft denken mussten: „Eine Armee reicht nicht, um die Palästinenser zu kontrollieren. Dafür benötigt es viele Gesetze und Bürokratie.“
17 Gesprächs- und Besuchstermine absolvierte unsere Gruppe in elf Tagen. Auch die Gedächtnisstätte für die Opfer des Nationalsozialismus Yad Vashem stand auf dem Programm und ein Gespräch in einer jüdischen Siedlung in der Nähe von Hebron.
„Ich verstehe jetzt viel mehr und weiß doch so viel weniger“, sagt Caroline Wiegand am Ende der Reise, die von der Evangelischen Kirche von Westfalen finanziell großzügig unterstützt wurde. Sie hatte sich nur Stunden, nachdem die Ausschreibung bekannt wurde, beworben.
Die Reise war ausgeschrieben für junge Menschen, die sich zivilgesellschaftlich engagieren. Man musste sich bewerben. Eine bunte Truppe kam zusammen: Junge Menschen aktiv in Parteien, in der Flüchtlingshilfe, im Sportverein oder in der Jugendarbeit von Kirchen und Migrantenorganisationen. Es gab evangelische und katholische Christen in der Gruppe, aber auch Jesiden, Aleviten, Muslime und Konfessionslose.
Das Vorbereitungswochenende war Pflicht. Schon da wurde der gesamte Nahostkonflikt heiß diskutiert: Die Ein-oder Zwei-Staatenlösung und das Problem der Siedlungen.
„Wir hatten so viele Gespräche auf dieser Reise, jeden Tag haben wir neue Menschen kennengelernt, die mit uns Erfahrungen geteilt haben“, sagt Holia Hamo aus Bochum. Die Lehramtsstudentin mit jesidischem Hintergrund kannte vorher niemanden aus der Gruppe. „Aber neben dem Land habe ich 25 tolle Menschen kennengelernt. Ich werde das alles nie vergessen.“
Ob beim Hören einiger Geschichten von Jesus am See Genezareth oder beim Gespräch mit Schülern in der Schule Talitha Kumi bei Bethlehem oder mit den Ambulanzfahrern des palästinensischen Roten Kreuzes – die Gruppe ließ keine Gelegenheit zur Diskussion aus. Die jungen Männer und Frauen entdeckten das Land mit mehr als 50 Augen.
So viele Eindrücke wollen verarbeitet werden. Im Gespräch miteinander, aber auch im Schweigen. Am vorletzten Tag stand eine Wanderung durch die Wüste auf dem Programm. Das Schweigen in dieser faszinierenden Landschaft tat allen gut.
„In Israel und Palästina können gerade wir Deutsche viel lernen: Über unsere Geschichte und deren Folgen bis heute, über die Religionen und die Gefahren des Fundamentalismus“, sagt Kolja Rösener vom Leitungsteam der Reise. Er absolvierte vor Jahren sein Freiwilliges Soziales Jahr im Land.
„Aber am meisten gelernt haben wir in den Begegnungen mit Menschen, denen die andere Seite nicht egal ist und die sich – trotz schwierigster Bedingungen – einsetzen für Frieden und Gerechtigkeit und ein Ende der Besatzung.“