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Privatdetektiv soll entführte Kinder zurückbringen

Seit vier Monaten hat Daniela Farre ihre Kinder Ilyas (8) und Aleena (6) nicht mehr gesehen. Seit Wochen hat sie nicht einmal mehr von ihnen gehört. Sie wurden entführt, vom eigenen Vater. Wo genau sie sind, ist unklar. Von den Behörden fühlt sich die Frau aus Höchberg bei Würzburg im Stich gelassen – das liegt auch an der wenig sensiblen Art, in der mit ihr kommuniziert wurde. Der Fall ist dabei kein Einzelfall, stellt der Verein „SOS Kindesentführung“ klar: „Leider ist es so: Wenn man sich nicht selbst hilft, passiert nichts.“

Zu Beginn der bayerischen Pfingstferien Mitte Mai lässt Daniela Farre ihre beiden Kinder mit ihrem Noch-Mann in den Türkei-Urlaub fliegen. Mit einem schlechten Gefühl im Bauch. Denn Yousuf S. hatte seit ihrer Trennung schon mehrmals damit gedroht, die Kinder zu entführen. In der Vergangenheit hatte sie dem Familiengericht Frankfurt-Höchst davon zwar berichtet, doch der zuständige Richter wiegelt damals ab, erzählt sie. Weil bisher alles gut gegangen sei, spreche nichts gegen die Auslandsurlaube. Zähneknirschend stimmt Farre also zu.

Ein folgenschwerer Fehler, wie die 43-Jährige inzwischen weiß. Neben dem Entsetzen über die Tat des Vaters kommt inzwischen die Verzweiflung über die deutschen Behörden hinzu. Polizei und Staatsanwaltschaft hätten den Fall anfangs nicht ernst genommen, klagt sie. Zwischenzeitlich hat sie Briefe erhalten, die sie „am deutschen Rechtsstaat zweifeln“ lassen. So hat ihr etwa die Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass das Verfahren gegen den Vater wegen Kindesentziehung vorläufig eingestellt wird – weil sein Aufenthaltsort unbekannt ist.

Das wegen des Wohnorts des Familienvaters zuständige Familiengericht in Frankfurt-Höchst wiederum hat der Mutter geschrieben, dass es für die von ihr beantragte Eilentscheidung über das alleinige Sorgerecht keine Veranlassung „ohne persönliche Anhörung des Kindesvaters und der Kinder sieht“. Dieses alleinige Sorgerecht wäre allerdings für die Kooperation ausländischer Behörden hilfreich. Das Gericht fordert Farre außerdem auf, den Aufenthaltsort des Vaters mitzuteilen, sobald sie diesen kennt. „Ich fühle mich echt verarscht“, sagt sie.

Die Staatsanwaltschaft bestätigt auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) Form und Inhalt des Briefs. Rechtlich gesehen sei der Inhalt korrekt, man habe nach Strafprozessordnung gar keine andere Wahl, sagt ein Behördensprecher. Dass Daniela Farre nur einen Dreizeiler erhalten hat, sei bedauerlich: „Wir haben uns inzwischen telefonisch bei der Mutter gemeldet und uns für das nicht besonders empathische Schreiben ohne jede Einordnung entschuldigt.“ An der vorläufigen Einstellung des Verfahrens ändert das aber nichts.

Der Fall von Daniela Farre und die Reaktion der Behörden – es klingt wie in einem schlechten Film. Und doch sind sie gar nicht so selten. 2023 gab es laut Innenministerium allein in Bayern 87 Fälle. Ein Vorstandsmitglied des Vereins „SOS Kindesentführung“, das anonym bleiben will, beklagt zum einen, dass deutsche Behörden im Gegensatz zu denen anderer EU-Länder „nicht mit dem gleichen Nachdruck“ nach entführten Kindern suchen. Zum anderen werde deutschen Elternteilen im Ausland nicht gerne geholfen, „weil sie Deutsche sind“.

Ein schwerer Vorwurf. Allerdings: Auch Ermittler bestätigen dem epd hinter vorgehaltener Hand, dass es für die Kooperationsbereitschaft ausländischer Behörden „eine sehr große Rolle“ spiele, aus welchem Land das Amtshilfegesuch kommt. Auch das kommt nicht von ungefähr, sagt das Vorstandsmitglied des Vereins „SOS Kindesentführung“: „Deutschland hat sich beim Haager Kindesentführungsübereinkommen über Jahre hinweg bei Anfragen etwa aus den USA auch nicht sonderlich kooperativ verhalten. Das kriegen wir jetzt zurück.“

Daniela Farre will sich auch deshalb nicht mehr allein auf den „Rechtsweg“ verlassen, sagt sie. Dank einer Spendenaktion hat sie mehrere Tausend Euro zusammenbekommen und einen Privatdetektiv engagiert. Der macht seine Arbeit „pro bono“, also umsonst, weil ihn der Fall berührt, wie er der Lokalzeitung sagte. Doch die Reisekosten und Auslagen muss Daniela Farre von den Spenden bezahlen. „Ich hole mir meine Kinder jetzt selbst zurück“, sagt sie entschlossen. Angeblich ist der Privatermittler dem Vater bereits auf den Fersen.

Die deutschen Behörden warnen ausdrücklich vor solchen Alleingängen. Zum einen, weil sich die Elternteile damit unter Umständen selbst strafbar machen können. Zum anderen, weil die entführten Kinder bei solchen „Rückentführungen“ teils lebensgefährlichen Situationen ausgesetzt werden. (00/2789/18.09.2024)