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Wenn der Schulranzen zu teuer ist

Bei vielen Familien fehlt das Geld für Füller, Hefte und Malkasten. Schulmaterialienkammern helfen unbürokratisch und sind das ganze Jahr über eine Anlaufstelle für Bedürftige. Vor zehn Jahren gründete Susanne Bornefeld die erste in Paderborn

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Meist sind es Kleinigkeiten – Hefte, Bleistift, Spitzer, Malpinsel oder Ringbuch. Und doch: Wer für seine Kinder zu Schulbeginn einkaufen geht, muss schon einiges hinlegen. Denn auch Kleinigkeiten läppern sich. Für Menschen, die jeden Euro umdrehen müssen, ist das eine Herausforderung.

So auch für die 37-Jährige Mutter aus Paderborn. Ihre Töchter kommen jetzt in die fünfte und siebte Klasse. Hilfe bekommt sie von der Schulmaterialienkammer der Diakonie Paderborn-Höxter. „Ich bin zum ersten Mal hier, ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt“, sagt sie. Sie ist ein bisschen aufgeregt. Ob alles klappt?

Nur für Schultaschen wird etwas Geld verlangt

Sie hat sich auf den Weg gemacht in das evangelische Lukas-Gemeindezentrum in Paderborn. Dort ist die Schulmaterialienkammer im Keller untergebracht. Im Foyer gibt es Schultaschen und Rucksäcke – gebraucht und neu. „Die Tornister sind das Einzige, wofür wir einen festen Geldbetrag verlangen“, sagt Susanne Bornefeld.
Auf ihre Initiative geht die Schulmaterialienkammer zurück. Vor zehn Jahren arbeitete sie bei der Diakonie im Bereich Arbeitslosenberatung. „Da wurde gerade das Arbeitsloseneld II eingeführt. Damals waren im Bedarfspaket gerade mal 1,33 Euro im Monat für Schulmittel vorgesehen. Das ist ein Witz“, sagt sie. Ihr kam der Gedanke: So wie es Kleiderkammern gibt, müsste es auch Schulmaterialienkammern geben. Der Gedanke ließ sie nicht mehr los. Sie sprach Pfarrer Christoph Keienburg von der Lukasgemeinde an. Der fand die Idee gut.
In einem Gottesdienst stellten sie das Projekt vor und sammelten die Kollekte dafür. „Noch nie hatte ich vorher bei einem Spendenaufruf so viele 50-Euro-Scheine in der Hand“, sagt Susanne Bornefeld. So entstand die erste Schulmaterialienkammer in Deutschland. Inzwischen hat sie etliche Nachahmer gefunden.
Die 37-Jährige Mutter hat für ihre Mädels zwei Schulranzen gekauft. Jetzt sitzt sie bei Renate Sauer am Tisch. Dort muss sie einen Berechtigungsschein vorweisen. In ihrem Fall ist es der Anspruch auf Wohngeld. Auch ein Asylantrag, Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe berechtigen zur Nutzung der Schul­materialienkammer.
Renate Sauer, eine von insgesamt 40 ehrenamtlichen Mitarbeitenden, möchte anschließend die Listen der Schulen mit dem benötigten Material sehen. Gemeinsam gehen sie die Listen durch. Renate Sauer macht ein Häkchen an die Artikel, die die Mutter bekommen kann. „Bei uns gibt es nicht alles. Zum Beispiel haben wir keinen Malkittel und auch keine Sportsachen“, erklärt sie. Auch Schulbücher gibt es hier nicht. Die Mutter sagt: „Ich bin einfach nur froh für jedes Teil, das ich hier bekomme.“
Die Erfahrung machen die Mitarbeiterinnen hier oft. „Die meisten Menschen sind dankbar. Ab und zu gibt es jemanden, der meint, Ansprüche stellen zu müssen. Aber das ist selten“, berichtet Susanne Bornefeld.

Große Dankbarkeit für alles, was sie bekommen

Die Mutter geht weiter zur nächsten Station. Dort gibt sie ihre beiden Listen bei Rita Beer ab. Die nimmt sich eine große Tasche und sucht die Sachen zusammen.
Die Schulmaterialienkammer ist gut durchorganisiert: Schon an der Eingangstür hängen Listen, in die sich Eltern und Schüler eintragen können und nach der sie dann in das Gemeindezentrum gelassen werden. „Das haben wir eingeführt, weil die ersten schon um sechs Uhr vor der Tür stehen, obwohl wir erst um zehn öffnen“, sagt Susanne Bornefeld. „Jeder kommt dran, jeder bekommt etwas.“ Es wird genau vermerkt, wer welche Materialien erhält. Die Einrichtung hat nicht nur zwei Wochen zu Schulbeginn geöffnet, sondern auch an jedem ersten Mittwoch im Monat. „Dinge wie einen Füller, einen Zirkel oder Schulmäppchen kriegt ein Kind nicht jedes Jahr neu.“
Die Mutter hat fast alles bekommen, was auf der Liste ihrer Töchter steht. Rita Beer legt ihr die Sachen nacheinander auf den Tisch, hakt noch mal alles ab. Die Mutter packt alles ein und bedankt sich. „Das macht einfach Spaß, hier mitzuarbeiten“, sagt Rita Beer. „Die meisten Eltern und Schüler sind so dankbar und wir Mitarbeiter verstehen uns gut.“
Susanne Bornefeld ist die einzige Hauptamtliche – sie ist bei der Diakonie angestellt als Erwachsenenbildungsreferentin, Ehrenamtskoordinatorin und zuständig für eben dieses Projekt. Rund 2000 Kinder werden in Paderborn pro Jahr mit Schulmaterialien versorgt – die zehn Außenstellen, zum Beispiel in Höxter, Warburg, Borchen und Altenbeken, nicht mitgerechnet. Finanziert wird das alles aus Spenden. „Etwa 30 000 Euro brauchen wir pro Jahr“, sagt Susanne Bornefeld.

Die Ehrenamtlichen sollen sich wohl fühlen

Jemand kommt mit belegten Broten. „Die sind für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, sagt Susanne Bornefeld. „Mir ist es wichtig, dass es ihnen hier gut geht. Sie leisten wirklich viel.“ Manche sind von morgens bis abends im Einsatz. Abiturientinnen gehören ebenso zum Team wie Rentnerinnen – oder auch Ibrahim Tahir. „Er ist unser Neuzugang.“
Ibrhim Tahir kam letztes Jahr, um Schulmittel für seine Kinder zu bekommen. Ein halbes Jahr vorher war er aus Syrien in Deutschland angekommen. „Er fragte, ob er uns unterstützen kann“, sagt Susanne Bornefeld. Ibrahim Tahir nickt. „Und jetzt bin ich hier“, sagt er. Er spricht arabisch, kurdisch und englisch. Auch sein Deutsch ist schon sehr gut. „Rund 80 Prozent derer, die die Schulmaterialienkammer in Anspruch nehmen, haben Migrationshintergrund“, sagt Susanne Bornefeld. „Da ist uns Herr Tahir eine große Hilfe.“

Wer die Schulmaterialienkammer unterstützen will: Spendenkonto: Diakonie Paderborn.Höxter, Kennwort Schulmaterialienkammer, Kto.-Nr.: 210 503 90 10, BLZ: 350 601 90, KD-Bank Münster.