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Was hinter der Serbien-Reise von Kanzler Scholz steckt

Bundeskanzler Olaf Scholz reist nach Belgrad, um mit der dortigen Regierung einen Rohstoff-Deal einzufädeln. Doch das zugrundeliegende Lithium-Abbauprojekt ist umstritten.

Am Ende halfen weder Petitionen noch Massenproteste: Serbien hat grünes Licht für den Abbau von Lithium im westlichen Jadar-Tal gegeben. Ein Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und einer EU-Delegation am Freitag dürfte die Regierung von Präsident Aleksandar Vucic in dem umstrittenen Vorhaben bestärken. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) erläutert die Hintergründe.

Warum reist Scholz nach Belgrad?

Offizieller Grund ist die Teilnahme an einem Gipfelgespräch zu “Critical Raw Materials”. Zu den “strategisch wichtigen Rohstoffen” zählt die EU auch Lithium, das im Zuge der Energiewende vor allem für Batterien in E-Autos benötigt wird. Europa will bei der Gewinnung unabhängig von China werden. Begleitet wird Scholz von Unternehmern und vom Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, den für Europas “Green Deal” zuständigen Maros Sefcovic.

Die Initiative sei sinnvoll, meint Experte Michael Tost von der Montanuniversität Leoben: Corona, die Blockade im Suezkanal, Russlands Angriff auf die Ukraine – all das habe gezeigt, wie plötzlich globale Handelsrouten unterbrochen werden könnten. “Was passiert, wenn zum Beispiel China mit Taiwan einen ähnlichen Konflikt anfängt wie Russland mit der Ukraine? Wollen und können wir dann mit China unsere Handelsbeziehungen in der jetzigen Form fortsetzen?”, gibt Tost zu bedenken.

Wieso ist Serbien in Sachen Rohstoffe so wichtig?

Vor 20 Jahren stieß der Bergbaukonzern Rio Tinto in Westserbien auf ein ungewöhnliches Mineral: eine Verbindung aus Lithium, Bor und anderen Elementen. Benannt wurde das Jadarit nach dem Fluss, der die fruchtbare Region speist. Die Vorkommen sind enorm. So könnte das Jadar-Tal jeweils drei- bis fünfmal mehr Lithium hervorbringen als die bisher unerschlossenen Vorkommen in Deutschland, Österreich Portugal und Spanien.

Ist die Region bereit für den Abbau?

Staatschef Vucic hat das Projekt zur Chefsache erklärt. Der Lithium-Abbau sei die “einzige Chance”, Aufschwung in die Region zu bringen. Tausende Jobs würden geschaffen.

Gibt es auch Kritik?

Opposition und Umweltschützer machen Druck auf die Regierung. “Man verkauft uns die Geschichte, dass wir durch die Umsetzung des Jadar-Projekts den norwegischen Lebensstandard erreichen. Das ist jedoch alles andere als sicher”, sagt Bogdan Radovanovic, Vertreter der Grün-Linken Front (ZLF). 2022 erklärten die Politiker in Belgrad das Bergbauprojekt nach tagelangen Massenprotesten für gescheitert. Nikola Burazer, Politologe in Belgrad, sieht darin den “größten Erfolg, den ein Protest gegen Vucic je erreicht hat”. Vor kurzem erklärten Serbiens Verfassungsrichter den Projektstopp allerdings für ungültig. In den vergangenen Tagen gingen die Serben erneut auf die Straße. Mehr als 280.000 Personen unterzeichneten eine Online-Petition gegen den Abbau.

Warum so viel Widerstand?

Rio Tinto und die serbische Regierung versprachen höchste Umweltstandards. “Doch es scheint, dass sogar viele ihrer eigenen Unterstützer die möglichen negativen Auswirkungen fürchten”, sagt Nemanja Nenadic, Direktor von Transparency Serbien. Zwar soll der Abbau unter Tage stattfinden. Die sichere Verarbeitung wird aber laut Experten zur Herausforderung. Groß ist etwa die Sorge, dass Schwefelsäure, die bei der Herauslösung des Lithiums aus dem Gestein zum Einsatz kommt, die Flüsse Drina und Jadar verunreinigen könnte. Bienenstöcke, Schaf- und Himbeerfarmen könnten langfristig vergiftet werden, warnen die Projekt-Gegner. Weitere Proteste sind programmiert.

Was steht bei dem Deal politisch auf dem Spiel?

Obwohl das Vorhaben zwei Jahre auf Eis lag, blieb Rio Tinto in Serbien aktiv und startete Werbekampagnen. Das Projekt erfährt zudem starke und sichtbare Unterstützung seitens ausländischer Diplomaten und Regierungsvertreter. Lange galt Serbien als Europas “Stabilokratie” auf dem Balkan. Während die regierende Serbische Fortschrittspartei (SNS) mit China und Russland liebäugelt, Freiheiten einschränkt und die jüngsten Parlamentswahlen nach Ansicht von Kritikern manipulierte, sorgt sie zugleich für Stabilität in der Region. Zum Lithium-Abbau erwägt die Regierung nun eine Bürgerbefragung.

Wie lautet das Fazit?

Tatsächlich könnte Lithium Serbien beim Sprung vom Schwellen- zum Industrieland helfen – falls die weitere Wertschöpfung dort stattfindet. Beim aktuellen Gipfel wollen Serbien und die EU-Kommission eine Absichtserklärung unterzeichnen, die neben der Rohstoffgewinnung auch “Batterie-Wertschöpfungsketten und Elektrofahrzeuge” beinhaltet. Medienberichten zufolge ist eine Batteriefabrik in Nordserbien geplant. Die Bewohner des Jadar-Tals überzeugt das aber nicht. Sie sehen sich als Kollateralschaden der europäischen Energiewende.