Jesus war Jude. Dieser Satz ist nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis einer langen und mühsamen Annäherung sowohl von christlicher als auch von jüdischer Seite. Was jedoch einerseits wie eine Versöhnungsbotschaft klingt, wirft auf der anderen Seite neue Fragen auf. Denn wenn man diesen Satz ernst nimmt, wird es schwierig, das „Christliche“ an Jesus zu erklären, ohne wieder in antijüdische Stereotype zu verfallen.
Auf dem Kirchentag in Berlin war dem Thema eine Diskussion mit jüdischen und christlichen Theologinnen und Theologen gewidmet. „Auf der Suche nach einer nicht antijüdischen Theologie“ hieß der etwas sperrige Titel.
Wie heikel die Frage ist, zeigte sich unter anderem daran, dass sich kein Vertreter der verfassten Kirche zum Gespräch bereit erklärt hatte. Und dass der Satz von „Jesus dem Juden“ noch lange kein Gemeinplatz geworden ist, unterstrich die Theologin Eske Wollrad vom Evangelischen Zentrum Frauen und Männer in Hannover. Sie treffe in Gemeinden und auch unter angehenden Pfarrerinnen und Pfarrern nach wie vor auf die traditionelle Zuordnung, die das Christentum als Erfüllung und Überbietung des Judentums sehe, so Wollrab.
Wie aber kann Jesus gedeutet werden, wenn man auf diese Denkfiguren verzichten will? Rabbiner Walter Homolka, Rektor des jüdischen Ausbildungsinstituts Abraham Geiger Kolleg an der Universität Potsdam, forderte von der christlichen Theologie eine Klärung dieses Spannungsverhältnisses. Die Bemühungen des Christentums um Versöhnung nach dem Holocaust hätten sich in der Christologie kaum niedergeschlagen, kritisierte er. Der us-amerikanische jüdische Theologe Michael J. Cook stellte dazu einige provokative Fragen, etwa wie es möglich sei, dass die Juden Jesus nicht als Messias erkannt hätten, obwohl sein Kommen doch angeblich in der gesamten Jüdischen Bibel vorhergesagt sei.
Ein Vorschlag für eine Neudeutung kam von Eske Wollrad aus dem Bereich der feministischen Theologie. Hier hätte bereits eine Absage an den Begriff der Wahrheit als absolut und überzeitlich stattgefunden, erklärte die Theologin. „Es gibt nicht mehr ein Jesus-Bild für alle Zeiten.“ Vielmehr sei es möglich, eine Vielzahl von Christusbildern in verschiedenen Kontexten zu entdecken und sie in der Sprache der Liebe auszudrücken. „Wir sollten das Fundament für unsere Identität nicht in der Vergangenheit suchen, sondern in der Zukunft – stammelnd, unfertig und unfassbar lebendig“, sagte Wollrad.
Diesem Ansatz widersprach der Tübinger Professor für Systematische Theologie, Christoph Schwöbel. Er wolle den Begriff der Wahrheit nicht aufgeben, sagte er. So hänge etwa an der Frage, ob Jesus eine historische Person sei, auch die Frage nach Wahrheit oder Falschheit des christlichen Glaubens. In diesem Sinne sei das Christentum ein „superverletzlicher Glaube“. Für eine Neubestimmung der Christologie brauche es Zeit. Wichtig sei dabei, „das Heil so auszusagen, dass es nicht zum Unheil für andere wird“, so Schwöbel.
Fazit der Diskussion: Die Neubestimmung der Christologie bleibt eine Herausforderung, die sicherlich noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird.
Einen Aspekt des christlichen Antisemitismus benannte der israelische Schriftsteller Amos Oz im Rahmen der Veranstaltung: Die Figur des Judas, der aus christlicher Sicht als Verräter oder, seltener, als Erfüller des göttlichen Erlösungsplans gesehen wird. Aus jüdischer Sicht verbindet sich mit dieser Zuschreibung ein direkter Weg in den Antisemitismus, erläuterte Oz.
Oz zeigte sich überzeugt davon, dass der Verrat des Judas keinerlei historische Grundlage habe: „Die Erzählung vom Verrat ist schlecht geschrieben und für den Fortgang der Evangelien nicht notwendig.“ Die Vermutung des Schriftstellers lautet daher: Sie wurde nachträglich eingefügt in der Absicht, Juden zu diffamieren. Und das mit Erfolg: „Keine andere menschliche Geschichte hat so viel Hass, Leid, Verfolgung verursacht“, sagte Oz. In dem Juden Judas seien alle Juden für den Tod Jesu verantwortlich gemacht worden.
Seine Interpretation hat er in seinem Roman „Judas“ verarbeitet: Darin wird Judas als der gläubigste Jünger Jesu dargestellt. Er drängt seinen Meister dazu, sich trotz seiner Zweifel kreuzigen zu lassen, um dann triumphal seine Macht zu beweisen und vom Kreuz herabzusteigen. Judas habe den Fehler eines Fanatikers gemacht, so Oz: „Er tötet Jesus, weil er zu viel fordert.“
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Was bedeutet es, wenn Jesus Jude war?
Der jüdisch-christliche Dialog ist vom Kirchentag nicht wegzudenken. Diesmal ging es in einer Diskussion um die notwendige Neubestimmung der Person Jesu, wenn sein Judesein wirklich ernst genommen wird
epd