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Warum junge Menschen Parteien am Rand wählen

Gut 20 Prozent für die Linke, 15 für die AfD: Bei der aktuellen U-18-Bundestagswahlumfrage sind Parteien an den Rändern besonders erfolgreich. Warum extreme Positionen für Jugendliche attraktiv sind.

BSW, Linke, AfD. Bei der Bundestagswahl treten diverse Parteien an, die an den Rändern des politischen Spektrums stehen. Insbesondere für viele Jungwähler scheinen sie attraktiv. Schon bei der Europawahl 2024 konnte etwa die AfD ihren Stimmenanteil unter der jüngsten Wählergruppe der 16- bis 24-Jährigen auf rund 16 Prozent verdreifachen. Bei der vergangenen Landtagswahl in Thüringen stimmten gleich zwei Drittel der Jungwähler für BSW, AfD oder Linke – die AfD wurde mit 38 Prozent deutlich stärkste Kraft. In der am Montag veröffentlichten Wahlsimulation für unter 18-Jährige schnitten zumindest zwei Rand-Parteien gut ab: Rund 21 Prozent der Minderjährigen hätten laut der durch den Bundestag geförderten Umfrage, die Linke gewählt, 15 Prozent die AfD.

Experten wie der der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Stefan Düll, sehen das kritisch: “Problematisch ist die Zuwendung vieler junger Menschen zu radikalen, extremistischen und demokratiefeindlichen Parteien. Das ist an einigen Schulen deutlich zu beobachten.” Nach Dülls Wahrnehmung haben sich gerade rechtsextreme Vorfälle an Schulen in den vergangenen Jahren gehäuft.

Ein Beispiel dafür ist die Hauptstadt. In der zuletzt veröffentlichten Polizeilichen Kriminalstatistik Berlin für das Jahr 2023, verzeichnete der Stadtstaat im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg politisch rechts motivierter Straftaten von Jugendlichen um rund 40 Prozent – von 31 auf 44 Fälle bei 14- bis 18-Jährigen. Gleichzeitig haben sich linksmotivierte Straftaten durch Jugendliche auf 94 Fälle verdreifacht. Solche extremistischen Vorfälle und politische Streitthemen sorgen laut Düll auch an Schulen immer wieder für Gesprächsbedarf.

Aber warum unterstützen junge Menschen überhaupt radikale Ideen? Für den Rektor der Psychologischen Hochschule Berlin, Siegfried Preiser, hängen Radikalisierung und das jugendliche Wahlverhalten eng mit politischer Selbstfindung zusammen. “Junge Menschen versuchen sich eine eigene politische Identität aufzubauen”, so der Psychologe. “Jugendliche tendieren zu extremen Begriffen und Aussagen. Diese Tendenz zur klaren Kante ist charakteristisch für die Zeit der Suche.” Parteien mit einfachen Antworten auf aktuelle Probleme wirkten dann verlässlich und attraktiv, zumal in einer Zeit, in der politische Gewissheiten zunehmend ins Schwimmen gerieten.

Preiser warnt aber davor, die Meinung junger Menschen nur als Protest oder Angst vor einer unübersichtlichen Weltlage abzutun. “Das Wichtigste ist, die Jugendlichen ernst zu nehmen und sie in Diskussionen einzubinden”, so der Psychologe. Besonders an Schulen sehe er die Möglichkeit, durch Austausch den menschenwürdigen Umgang mit anderen Ansichten zu lernen. “Jeder muss seine Meinung äußern können. Das muss so geschehen, dass keiner beleidigt wird, aber auch klare politische Aussagen müssen möglich sein, auch aus Richtung der AfD”, so der Psychologe. Durch offenen Diskurs könne man die meisten Menschen zum Nachdenken bringen. Und durch eine Diskussion auf Sachebene könne man radikale Argumente erfassen und eingrenzen. Hier erkennt Preiser bislang Defizite: “Ich glaube, auch Lehrer tun sich schwer damit, besonders mit rechten Argumenten so umzugehen, dass der Betreffende nicht abgewertet und abgewürgt wird.”

Lehrer-Präsident Düll wirbt ebenfalls für respektvollen Austausch. “Statt den Lernenden etwa einen Rechtsruck vorzuwerfen, muss den jungen Menschen Vertrauen in einen funktionierenden demokratischen Parlamentarismus vermittelt werden.” Das beginne mit einer demokratischen Schulkultur und gehe über in einen fairen Diskurs in Gesellschaft und Medien. Denn Düll ist überzeugt: “Im gesellschaftlichen Raum ist nicht nur die Schule für die Prävention verantwortlich.” In die Arbeit gegen den Extremismus müssten sich viel mehr Familien, Vereine und die Politik einbringen, etwa durch Bildungsinitiativen und die aktive Gestaltung Sozialer Medien.