Beide gelten als rhetorische Naturtalente: Gregor Gysi und Karl-Theodor zu Guttenberg. Mit ihrem gemeinsamen Podcast sind sie erfolgreich – jetzt gibt es ihn auch in Buchform. An zukünftigen Themen besteht kein Mangel.
Die Demokratie lebt nicht nur von unterschiedlichen politischen Auffassungen, sondern auch von der Kunst des Dialogs, des argumentativen Streits. Zwei Meister auf diesem Terrain, der frühere CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg (52) und der Linke-Politiker Gregor Gysi (76), zeigen seit mehr als einem Jahr mit einem Podcast, wie es geht: “Gysi gegen Guttenberg: Der Deutschland Podcast”.
Egal, ob sie über den Krieg in der Ukraine diskutieren, den Kampf gegen die AfD oder über den Tod und das Sterben: Die zwei begnadeten Rhetoriker beweisen, dass man trotz unterschiedlicher Auffassungen vom anderen etwas lernen kann – wenn man ihm locker und mit Respekt begegnet.
Genau diese Atmosphäre spürte man auch am Dienstag bei der Präsentation des neuen Buches der beiden, das auf dem Podcast fußt, in Berlin vor Journalisten. Das Fenster ist groß und lässt einen Blick auf das Hauptstadt-Panorama inklusive Bundeskanzleramt und Parlamentariergebäude zu. Für Guttenberg ist Politik seit der Plagiatsaffäre kein aktives Thema mehr, für Gysi immer noch. Der frühere DDR-Anwalt hält sich fit mit Sport, viel Arbeit und anregenden Gesprächen. Zum Beispiel mit zu Guttenberg, dessen Fall ihm damals ans Herz ging: “Auf diejenigen zu treten, die am Boden liegen, ist einfach.”
Gysi machte es anders. Er suchte als Linker den Kontakt zu dem gefallenen aristokratisch-konservativen Star. Ein Grund, wieso der aus Amerika nach Deutschland zurückgekehrte Guttenberg auf Gysi zukam, als er einen dialogfähigen Sparrings-Partner für seinen Podcast suchte. Sechs Millionen Downloads kann “Gysi gegen Guttenberg” vorweisen. “Es gibt in der Gesellschaft ein tiefsitzendes Bedürfnis, wieder versöhnlicher miteinander umzugehen”, diagnostiziert Guttenberg die derzeitige deutsche Mentalität. Mit dem Podcast gebe man ein Beispiel, was ein konstruktives Miteinander erleichtern könne.
“Was hilft, ist zuzuhören und Argumente abzuwägen”, erklärt der leger gekleidete Guttenberg die eigene Marktlücke. “Kleine Techniken, die wir nicht inszenieren, sondern auch im alltäglichen Umgang pflegen.” Dies ermögliche es, auch über kontroverse Themen mit Respekt vor der anderen Person zu sprechen. Auch wenn man bei einigen Themen unterschiedliche Auffassungen habe. Etwa bei Waffenlieferungen für die Ukraine oder Gendersprache.
Gysi ist sicher, dass er zu seiner Zeit als Anwalt in der DDR gelernt habe, ganz unterschiedlichen Menschen zuzuhören. Davon profitiere er bis heute. Auch von Guttenberg, der als westdeutscher Adeliger eine ganz andere Herkunft habe, als er selbst, habe er einiges gelernt, etwa über Social Media und die Vereinigten Staaten.
Nach seinem zeitweiligen Rückzug aus der Politik nach drei Schlaganfällen, so Gysi, habe er darauf geachtet, gesund zu leben: “Ich schwimme, radle mit dem E-Bike, spiele Tischtennis, gehe Wandern und laufe Ski”, so der 76-Jährige. Auch dank Arbeit und Besuchen von Freunden bleibe er “wach”. Zeit, sich anderer Leute Podcasts anzuhören, habe er allerdings keine.
Dazu warten auch noch zu viele Themen auf die beiden. “Eitelkeit” nennt Guttenberg eines – mit einem selbstironischen Lächeln Richtung Gysi. Doch der kleine, alte Mann hat ein anderes Thema im Visier: Religion, Kirche und Glaube. “Das sind drei verschiedene Kriterien. Man kann an Gott glauben, ohne in einer Kirche organisiert zu sein”, erklärt er. “Ohne Religion gäbe es keine allgemein verbindliche Moral. Das wäre eine Katastrophe für die Gesellschaft.” Man darf gespannt sein – auf das Buch, die weiteren Podcast-Folgen – und ob der Titel eines Tages in “Gysi und Guttenberg” geändert wird.