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Waldmops ante Portas

Friedlich sitzt er am Havelufer und schaut aus großen, gelassenen Augen über seine gestauchte Nase. Doch sein voll geringelter Schwanz signalisiert Aufmerksamkeit. „Wenn wir Glück haben“, sagt Christian Heise, „geht er gleich auf Jagd. Dieser Waldmops ist spezialisiert auf Muscheln. Mit seinem kräftigen Geweih dreht er auf der Suche nach ihnen im flachen Wasser Steine um. Um die Krustentiere zu knacken, haben sich seine Kiefer über die Zeit stärker ausgeprägt als bei seinen Artgenossen.“

Die gehörnten Waldmöpse mit Ringelschwänzen erinnern an einen der berühmtesten Söhne der Stadt, Vicco von Bülow alias Loriot (1923-2011). Die etwa 50 Zentimeter großen Bronzefiguren sitzen, stehen, schlafen, schnüffeln und heben das Bein. Heise kennt sie alle. Seitdem die ersten acht Exemplare dieser weithin unbekannten Spezies vor acht Jahren in der Stadt Brandenburg an der Havel ausgewildert wurden, haben sie sich deutlich vermehrt, obwohl sie alle des gleichen Geschlechts sind. „Das bleibt für uns ein Rätsel“, sagt Heise – und für die Teilnehmer seiner Exkursionen ebenso, die er als Waldmops-Ranger zu den bevorzugten Habitaten der Möpse führt.

Auch Loriot hatte 1972 dafür keine Erklärung, als er in seinem Sketch „Tierstunde – Der wilde Waldmops“ in der Rolle des Tierfilmers Horst Stern (1922-2019) erstmals einer bewegten Öffentlichkeit das Tier zugänglich machte: „Als Herr des Waldes durchstreifte der Mops einst Europa zwischen Ural und Fichtelgebirge. Heute weiden nur noch wenige wilde Möpse in unbewohnten Waldungen Nordschwedens“.

Elchgroß seien die Tiere gewesen, seine „mächtigen Mopsschaufeln“ begehrte Jagdtrophäen. „Im Laufe des 17. Jahrhunderts hat man sie jedoch rücksichtslos zurückgezüchtet, da sich Vierzehnender im Schoße älterer Damen als hinderlich erwiesen hatten.“ Während des Züchtungsprozesses hätten einige in die Wälder fliehen können, verzwergt nun und mit verkümmertem Geweih.

Immerhin sind es noch allesamt Achtender, die Dr. Christian Heise, 53, auch in Mönchskutte Stadtführer und zudem Chemiker, bei Sichtung nahebringen kann. „Die Waldmöpse zieht’s zum Wasser“, sagt er. „Ein ausgewachsenes Tier trinkt bis zu 80 Liter am Tag. Dabei müssen sie auf ihren einzigen bekannten Feind achten, den Havelzander, der schon so manchen Mops gezwackt hat. Weil sie so viel trinken, sieht man sie auch so häufig pullern.“ Einige vorsichtigere Möpse hielten sich inzwischen gerne in der Nähe von Brunnen und Straßenpumpen auf.

Der damalige Außenminister und Vorsitzende des städtischen Kulturvereins, der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, begrüßte 2015 zur Bundesgartenschau die Auswilderung als „Zoologisches Großereignis“. Der Verein hatte nach dem Tod Vicco von Bülows 2011 ihm zu Ehren einen mit 50.000 Euro Spendengeldern dotierten bundesweiten Denkmal-Wettbewerb ausgelobt.

Den Wettbewerb gewann 2013 die damals 23-Jährige Clara Walter, die in Detmold Innenarchitektur studierte. Sie wurde damit zur „Erfinderin“ des Waldmops-Rudels in Brandenburg. Sie hatte ergänzend auch die Idee für ein Loriot-Denkmal ohne Denkmal: Ein Beton-Sockel mit biografischen Angaben und obendrauf nichts als zwei eingelassene Fußabdrücke seiner Originalschuhe der Marke Lloyd, denn Loriot mochte keine Statuen – wegen dem, was Vögel so hinterlassen. Das „Wo ist er hin“-Denkmal verwirklichte sie mit dem Bildhauer Raphael Danke. Es steht neben der Johanniskirche, ist immer noch steinlaussicher und wird scharf beäugt von zwei Waldmöpsen. Deren Züchterin Clara Walter heißt nun mit Nachnamen ebenfalls Danke.

Die Bronzestatuen (Kosten: je 4.500 Euro) der Waldmöpse wurden in Bremen gegossen. Naheliegend, da Loriot „die Paarungsgebiete an der Mündung der Weser“ lokalisiert hatte. Die Statuen sind im Boden fest verankert. Trotzdem wurden zwei der zwischenzeitlich 27 kleinen Strolche gemopst. Für den Mops unweit des Pauli-Klosters ist es besonders bitter: „Sein entführter Kumpel“, so Heise, „hatte ihn wieder und wieder vor seinem unmäßigen Verzehr der Früchte der nahestehenden Esskastanie gewarnt: Er könne noch nicht mal mehr aufstehen!“ Nun ist der Platz an seiner Seite eine sandige Lücke in der Wiese und der Gourmand liegt immer noch auf dem Rücken.

Für die Stadt und ihre Besucher hat sich der Waldmops zum Kult entwickelt. Neben Wilderern und Havelzandern outete sich bislang nur die Tierschutzorganisation Peta als wenig affin für ihn. Sie kritisierte die Qualzucht und verkehrte Loriots „Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos“ in: „Das Leben als Mops ist möglich, aber freudlos.“ Unbedacht, dass ja Loriot beim Outing des Canis pugnax foresta selbst den „blinden Züchterehrgeiz in den letzten 500 Jahren“ gegeißelt hatte. Und ein Mops nun mal kein Waldmops ist. Denn „in Deutschland“, so Loriot, „hat lediglich der scheue Waldmops die freiheitliche Würde seiner Vorfahren bewahrt.“ Selbst wenn er das Bein hebt.