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Vorsitzender des Ethikrats zu Sterbehilfe und Organspende

Der Deutsche Ethikrat als unabhängiges Beratergremium der Politik hat einen neuen Vorsitzenden. Dieser wünscht sich neue gesetzliche Regelungen zu Sterbehilfe und mehr Rücksichtnahme der Älteren gegenüber den Jüngeren.

Es dauerte Monate, bis der aktuelle Deutsche Ethikrat ernannt wurde. Helmut Frister (67) darf dem Rat für die kommenden vier Jahre vorsitzen. Für den Rechtswissenschaftler ist es die zweite Amtszeit. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagt er, welche Themen er wichtig findet und warum er, trotz der Anfeindungen während der Pandemie, den Job dennoch reizvoll findet.

KNA: Herr Frister, es hat sehr lange gedauert, bis der Ethikrat neu besetzt und arbeitsfähig war. Woran lag das?

Frister: Die Bundesregierung hatte offenbar Probleme, sich zu einigen. Mehr wissen wir auch nicht. Dass wir darüber nicht erfreut waren, ist, glaube ich, verständlich. Die Hängepartie hat das Verhältnis doch etwas belastet. Aber wir wollen daraus jetzt keine große Sache machen. Der Deutsche Ethikrat ist konstituiert und die Arbeit hat begonnen.

KNA: Fühlt sich der neue Ethikrat gewappnet für die kommende Amtsperiode?

Frister: Die Zusammensetzung hat sich deutlich verändert. Wir haben zwei Wirtschaftswissenschaftler neu im Rat und mehr sozialwissenschaftliche Kompetenz. Schade ist, dass die rein philosophische Kompetenz weniger geworden ist. Herr Nida-Rümelin war der klassische Vertreter, und einen Ersatz für ihn gibt es nicht so richtig.

KNA: Verändern sich dadurch das Abstimmungsverhalten oder die Stellungnahmen?

Frister: Das glaube ich nicht. Wir haben uns für den Anfang zwei große Stellungnahmen vorgenommen. Die Themen muss der Rat noch beschließen. Wenn es nach mir ginge, wäre das eine ein rein lebenswissenschaftliches Thema und das zweite etwas weiter gefasst.

KNA: Was halten Sie für ein gutes Thema?

Frister: Das Thema der nächsten Jahrestagung finde ich sehr wichtig. Wir werden uns mit Bedingungen für gesellschaftlichen Zusammenhalt auseinandersetzen. Was mir auch sehr am Herzen liegt, ist das Thema Generationengerechtigkeit. Mich persönlich treibt um, dass meine Generation, ich bin 67 Jahre alt, sich oft ihrer privilegierten Position gar nicht bewusst ist. Es gab keinen Krieg, ging immer aufwärts. Diese Generation muss meines Erachtens stärker auf die junge Generation blicken. Und sie nicht überlasten.

KNA: Die Alten müssen mehr an die Jungen denken?

Frister: Ja. Das ist auch angesichts der demografischen Entwicklung und bei der politischen Willensbildung sehr wichtig.

KNA: Die Ampel-Regierung ist jüngst auseinandergebrochen. Beeinflusst das Ihre Arbeit?

Frister: Also zunächst wird die Politik sicher sehr mit sich selbst beschäftigt sein. Dann wird sich zeigen, was die neue Regierung politisch vorhat. Gesamtpolitisch halte ich die Entwicklung in den USA für bedrohlicher als die deutsche Regierungskrise. Unser wichtigster Verbündeter könnte wegbrechen. Das ist bei zentralen gemeinsamen Werten auch für uns relevant. Es geht in der Ethik immer auch um den Blick auf den anderen, in der internationalen Politik scheint der Blick gerade sehr auf sich selbst gerichtet.

KNA: Es gab einige Gesetzesvorhaben mit ethischer Bedeutung, die geplant waren und nach dem Ampel-Aus nicht mehr kommen – Abtreibung, Organspende oder Leihmutterschaft. Positioniert sich der Ethikrat hierzu?

Frister: In vielen Bereichen, etwa bei der Organspende und der möglichen Widerspruchslösung, scheinen mir alle Argumente ausgetauscht. Da muss die Politik schlicht entscheiden. Ähnlich sieht es beim Schwangerschaftsabbruch aus. Da gibt es Kommissionsvorschläge und einen Gesetzentwurf, auch wenn er vermutlich so nicht kommen wird.

KNA: Und beim Thema Sterbehilfe?

Frister: Hier hoffe ich, dass es unter der nächsten Regierung noch zu einer gesetzlichen Regelung kommt. Es braucht ein ausformuliertes Verfahren, wie man eine freiverantwortliche Suizidentscheidung feststellt. Zumindest das Vier-Augen-Prinzip und eine Beratungserfordernis müssen festgehalten werden.

KNA: Wie steht es um die freiverantwortliche Entscheidung Minderjähriger?

Frister: Hier war der Ethikrat mehrheitlich gegen die Möglichkeit einer Suizidentscheidung. Es gibt einige, die dafür plädiert haben, dass es bei einer kleinen Gruppe Jugendlicher, die an einer schweren Krebserkrankung leiden, eine Ausnahme gibt. Das beträfe aber nur sehr wenige junge Menschen.

KNA: Zu Künstlicher Intelligenz haben Sie bereits eine Stellungnahme vorgelegt. Aber die Entwicklungen sind rasend, viele warnen vor Auswüchsen. Wird es eine neue Stellungnahme geben?

Frister: Das kann sein. Wir haben in einer ersten Brainstorming-Runde bereits etwa zehn Themen gesammelt. Das müssen wir jetzt auf zwei eindampfen. Im Dezember beraten wir weiter. Eine große Stellungnahme zu erarbeiten, dauert etwa 1,5 Jahre. Daher wird es die erste große wohl erst 2026 geben. Aber es kann sicher vorher kleinere Stellungnahmen geben.

KNA: Welche Rolle spielen die Glaubensgemeinschaften, die Kirchen, bei Ihnen?

Frister: Die Kirchen haben nach wie vor in ethischen Auseinandersetzungen eine gewichtige Stimme. Wir schauen uns diese immer an. Durch die Theologen im Ethikrat fließen sie auch in unsere Beratungen ein. Auf der anderen Seite sind wir eine pluralistische Gesellschaft, ein erheblicher Teil der Menschen ist nicht religiös. Wir müssen alle Menschen in den Blick nehmen.

KNA: Zum zweiten Mal hat der AfD-Vorschlag für den Ethikrat keine Mehrheit bekommen. Was halten Sie davon?

Frister: Die betreffende Person in diesem Jahr war vorbestraft. Der Vorschlag war eine ziemliche Provokation, und entsprechend war es verständlich, dass der Bundestag den Vorschlag abgelehnt hat. In der letzten Ratsperiode gab es da intern mehr und auch nicht einhellige Diskussionen.

KNA: Der Ethikrat hat in der Corona-Pandemie viel mediale Aufmerksamkeit erhalten. Beschäftigt Sie das noch?

Frister: Die Rolle des Ethikrats war eine sehr besondere in der Pandemie. Es hat uns alle etwas überfahren. Mit der Pandemie war der neu zusammengekommene Ethikrat plötzlich in aller Munde. Das hat vor allem bei unserer damaligen Vorsitzenden Alena Buyx zu erheblichen Anfeindungen geführt. Es war bewundernswert, wie sie das durchgestanden hat.

KNA: Es hat Sie aber nicht abgeschreckt?

Frister. Nein, ich fühle auch eine Verpflichtung, dieses Amt zu übernehmen. Und es ist eine sehr reizvolle Aufgabe.