Aufnahmen wie “In the Mood” und “Moonlight Serenade” sind Swing-Klassiker, erinnern aber auch an die dunkle Zeit des Krieges. Bandleader Glenn Miller prägte den Klang seiner Epoche wie kein anderer – und endete tragisch.
Dichter Nebel liegt über der südenglischen Küste, als die einmotorige C-64 Norseman von der Startbahn abhebt. An Bord ist Amerikas beliebtester Bandleader, der zu Weihnachten im befreiten Paris ein Rundfunkkonzert für die alliierten Truppen leiten soll. Aber Glenn Miller kommt dort nie an. Über dem Ärmelkanal verschwindet das Flugzeug am 15. Dezember 1944 aus nie ganz geklärten Gründen. Die Welt erfährt die Nachricht erst bei jener Radioübertragung neun Tage später. Ohne ihren Chef spielt die Army Air Force Band seine Erkennungsmelodie “Moonlight Serenade”. Der “Miller Sound” prägt die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg bis heute wie kaum eine andere Musik.
Instrumente faszinierten Alton Glenn Miller früh. 1904 in einem Landstädtchen in Iowa geboren, soll er sich die Dollars für seine erste Posaune mit Kühemelken verdient haben. Als Berufsmusiker tourte er in den 20er- und 30er-Jahren mit bekannten Jazz-Bands durch die USA, spielte bei Schlagzeuger Ben Pollack und Trompeter Red Nichols. Die Weltwirtschaftskrise traf auch die Musiker hart. Glenn und er hätten leere Milchflaschen geklaut, um mit dem Pfand über die Runden zu kommen, beschrieb Klarinettist Benny Goodman später die harten Zeiten. Obendrein wurde Miller wohl klar, dass er es auf der Posaune nicht mit Größen wie Jack Teagarden oder Tommy Dorsey aufnehmen konnte.
Seine Stärke war nicht die Improvisation, sondern das raffinierte Arrangement von Jazzmelodien. Die Big Band der Swingära mit ihren Gruppen aus Saxophonen, Posaunen, Trompeten und Rhythmusinstrumenten bot für sein Talent das ideale Terrain. Aber zunächst ging Miller 1937 mit seiner ersten Band fast pleite, die Konkurrenz hervorragender Swingorchester war zu groß. Sein Fazit: “Eine Band muss eine eigene Persönlichkeit besitzen.”
Monatelang arbeitete er an diesem “einzigartigen Klang”, der seine nächste Formation von allen anderen unterscheiden sollte. Mit Erfolg: Der “Miller Sound”, bei dem die Saxophone von einer unisono darüber spielenden Klarinette angeführt werden, schlug 1938 ein. Die Radiosendungen der Band aus dem Glen Island Casino, einem Tanzsaal auf Long Island, machten ihn landesweit bekannt.
Mit Hits wie “Moonlight Serenade”, einer der wenigen Eigenkompositionen Millers, dem lässigen “Tuxedo Junction” und der Swinghymne “In the Mood” wurde die Band zur populärsten in den USA und ihr Chef zum Bestverdiener unter Amerikas Musikern. Das launige “Chattanooga Choo Choo”, das sich 1941 mehr als eine Million Mal verkaufte, brachte Miller die erste Goldene Schallplatte der Chart-Geschichte. Die Jugend des weißen Mittelklasse-Amerika tanzte zu Glenn Miller den Lindy Hop – und ihre Eltern konnten sich mit der Musik sogar anfreunden. Eine Mischung aus schnellen Swing-Nummern und gefühligen Lovesongs spielten damals zwar alle erfolgreichen Orchester. Aber Miller traf den Nerv der Nation am besten, im relaxten Rhythmus der Band schlug der Puls der Zeit. Sogar Beethovens “Mondscheinsonate” verpasste sie den Miller Sound.
Bei Jazz-Kritikern kam Miller weniger gut an. Ihnen ließen die elegant durchgestylten Arrangements zu wenig Raum für wilden Drive und spontane Kreativität. Songs wie das ölige “At Last” haben in der Tat nicht mehr viel mit Jazz zu tun. In etlichen Aufnahmen gab Miller seinen erstklassigen Instrumentalisten aber auch immer wieder Platz für gut improvisierte, “heiße” Soli. Den Meister selbst ließen die Puristen des wahren Jazz kalt: “Ein Dutzend schwarze Bands haben mehr Beat als wir – uns geht es um Harmonik”, stellte er fest. Einem Kritiker sagte er: “Sie beurteilen mich als Musiker, John. Dabei will ich nur Geld verdienen.”
Als die USA Ende 1941 in den Zweiten Weltkrieg eintraten, verzichtete Miller vorerst auf die lukrative Karriere und meldete sich mit 38 Jahren zur Luftwaffe. Mit seiner Army Air Force Band wollte er Uncle Sam’s Boys im Radio ein Stück Amerika bringen. Seine Popularität wuchs damit noch. Woche für Woche war er auf Sendung, ab 1944 aus London. Seine Programme richteten sich auch an deutsche Soldaten, denen er am Mikrofon persönlich ausrichtete: “Amerika bedeutet Freiheit und es gibt keinen ehrlicheren Ausdruck für Freiheit als Musik.” Im kriegszerstörten Europa wurde der Miller Sound zum Inbegriff des American Way of Life.
Warum erreichte Major Miller niemals Paris? Ein vereister Vergaser wegen der kalten Witterung klingt wahrscheinlich. Womöglich geriet sein Flugzeug aber auch in den Bombenhagel eines höherfliegenden alliierten Verbands, der einen Angriff auf die deutsche Stadt Siegen abbrechen musste und seine Fracht über dem Kanal ausklinkte. Fakt ist: Millers Musik hat Klassik-Status. Vier Orchester touren weltweit unter seinem Namen. Offiziell dürfen nur sie per Lizenz die Original-Arrangements des Posaunisten aus Iowa zum Besten geben.