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Von Veit Hoffmann
Vor 70 000 Jahren lebte der Homo sapiens noch recht unbedarft irgendwo in der Steppe Ost-Afrikas. Natürlich gab es auch den berühmten Neandertaler, der friedlich in Europa Wind und Wetter trotzte, sich aber nicht mit dem Homo sapiens abgab. Der genetische Graben zwischen ihnen war einfach zu groß. Auch wenn ein Neandertaler-Romeo und eine Sapiens-Julia sich unsterblich ineinander verliebt hätten … sie gehörten nicht wirklich zur gleichen Gattung.
Doch dann geschah etwas sehr Merkwürdiges: Der Homo sapiens brach auf und besiedelte den Rest der Welt. In kürzester Zeit eroberte er den Globus. Er verdrängte den Neandertaler und betrat vor 45 000 Jahren Australien und ließ sich dort nieder. Außerdem gelangte er nach Alaska, Amerika und Europa. Aus Sicht der Evolution ist das so, als wäre es gestern Abend gewesen. Was befähigte unsere direkten Vorfahren zu dieser unerwarteten Leistung? Niemand weiß es. Antworten gibt es nicht, nur Vermutungen. Ein Gehirn mit entsprechenden Fähigkeiten hatte auch der kräftige Neandertaler, der aber mit dem Homo sapiens nicht mithalten konnte.
Unser Vorfahr hat sich in Windeseile die Umwelt untertan gemacht, Weltreiche gegründet und Handelsnetze errichtet. Vom Kanu stieg er auf Galeeren, von dort auf Dampfschiffe, schließlich baute er Raumschiffe. Keinem anderen Lebewesen ist dieser gigantische Sprung in solch kurzer Zeit gelungen. Er wurde zum Schrecken des Ökosystems. Heute dringt er zu jedem Strand vor mit seinen Würstchenbuden und Hotels. Jeden Berg verwandelt er in einen Freizeitpark. Gigantische Müllstrudel von der Größe Indiens und Westeuropas treiben in den Weltmeeren. Die Umweltzerstörungen sind enorm. Aber auch menschlich steuern wir immer wieder auf Katastrophen hin: Derzeit Hunderttausende Tote in Syrien und Irak, Millionen Flüchtlinge, Nordkorea droht mit Atomwaffen, Religionen erheben sich gegeneinander und Israelis und Palästinenser sind weiter von einer friedlichen Lösung entfernt denn je.
Wir handeln als Selfmade-Götter oft verantwortungslos und tun so, als schulden wir niemandem Rechenschaft. 1890 schrieb der Schriftsteller Oscar Wilde Das Bildnis des Dorian Gray. Da lässt ein junger Mann nicht sich sondern ein Ölgemälde von sich altern. Er hingegen kann täglich unbesorgt in den Spiegel schauen und sein Leben genießen. Eines Tages entdeckt er auf dem Ölgemälde ein völlig verzerrtes Gesicht. Sein Gesicht. Jetzt erst realisiert er, was er getan hat, doch da ist es für ihn zu spät. Hoffen wir, dass es uns nicht so ergeht wie Dorian Gray.
Wir sind es unseren Kindern schuldig.