Am Parkplatz waren Tische mit Gläsern und erfrischendem Saft aufgestellt. So waren Studierende aus Deutschland, Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo wohl noch nicht empfangen worden. Die ruandische Universität PIASS (Protestant Institute of Arts and Social Sciences) und die Ruhruniversität Bochum hatten zu einer Tagung mit dem Titel „Afrikanische Theologien und das Erbe der Reformation“ eingeladen. Vom 18. bis 22. Februar kamen in Karongi (früher Kibuye) in Ruanda 55 afrikanische und 34 europäische beziehungsweise amerikanische Teilnehmende zusammen. In dieser Zeit bot sich den Anwesenden ein buntes Bild, durch die verschiedenen Kulturen, aber auch bezüglich der Grundvoraussetzungen für theologisches Lernen. Der theologische Direktor von PIASS, Tharcisse Gatwa, und der Bochumer Sozialethiker und Mitglied der westfälischen Kirchenleitung Traugott Jähnichen leiteten die Tagung gemeinsam.
Ende des Jahres soll dazu ein Sammelband vorgestellt werden. Bis dahin bleiben unter anderem die Anfragen an europäische Vorstellungen von Gott und ein zunehmendes Selbstbewusstsein afrikanischer Theologen und ihrer Fakultäten im Gedächtnis. Das ging so weit, dass zwischen den Zeilen die Frage herauszuhören war, inwieweit europäische Traditionen überhaupt noch eine Rolle spielen in der Entwicklung von unterschiedlichen Theologien auf dem afrikanischen Kontinent.
Wo Gott nicht nur als eine über uns existierende Größe, sondern immer in seinem engen Verhältnis zu allen Lebewesen gesehen wird, ist die Rechtfertigung allein aus Glauben eine schwerer einzuordnende Fragestellung, da es weniger um ein Rechts- als um ein Beziehungsverhältnis von Gott und Mensch geht. Wo Christus immer unterwegs mit allen Menschen geglaubt wird, ist das „Solus Christus“ („Christus allein“, reformatorischer Grundsatz) immer auf die Gemeinschaft bezogen. Das sind deutlich andere Perspektiven als wir sie in Europa gewohnt sind.
Hinzu kommen die ungezählt vielen Kirchen, die aus der Pfingstbewegung des letzten Jahrhunderts entstanden sind und inzwischen weltweit in den Ländern des Südens enorme Zuwächse verzeichnen. Im kleinen Ruanda, nicht viel größer als Rheinland-Pfalz, soll es inzwischen über 700 solcher Kirchen geben, wohlgemerkt sind das nur die, die registriert sind. Die Zahl der traditionellen Kirchen wie Presbyterianer, Anglikaner und Methodisten ist da an einer Hand abzuzählen. Alle Kirchen verzeichnen Wachstum, nirgendwo aber so rasant wie bei den neuen pfingstlichen Gruppen oder Kirchen.
Was bedeutet das für die Theologie in Afrika? – Kwabena Asamoah-Gyadu, ein bekannter Theologieprofessor aus Ghana, selbst kein Pfingstler, hielt mit seiner Begeisterung für die neuen Pfingstbewegungen nicht hinter dem Berg. Vor allem die riesigen Hallen mit Platz für über 5000 Menschen, in denen sonntags bis zu drei Gottesdienste gefeiert werden, sind für ihn ein klares Zeichen für einen enormen Aufbruch, von dem die traditionellen Kirchen viel zu lernen haben. Die europäische Seite fragte nach, ob es nicht im Sinne ökumenischer Ernsthaftigkeit zunächst auf die Inhalte der kirchlichen Verkündigung und Organisation ankomme, bevor man über Größe spricht.
Von deutscher Seite gingen einige Vorträge auf die Frage ein, inwieweit die reformatorischen Erkenntnisse heute im Blick auf die gesellschaftspolitischen Belange zu vermitteln sind. Vertreter der „Öffentlichen Theologie“*), wie der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Heinrich Bedford-Strohm oder der Bamberger Theologe Florian Höhne, betonten, dass es über die persönliche, individuelle Betrachtung des Verhältnisses Gott-Mensch hinaus eine gemeinschaftsbildende Stärke des Glaubens gibt. Die im Glauben gewonnene Freiheit richtet alles Handeln an dieser Freiheit aus. Sie gilt zugleich als Grundlage zur Beurteilung allen kirchlichen Handelns.
So sah es auch Christine Schließer aus Zürich im Blick auf die vier reformatorischen Grundartikel „Allein aus Glauben, aus Gnade, allein die Schrift, Christus allein“. Wenn wir sie in eine dauerhafte Beziehung zueinander stellen, können wir „vom Mangobaum lernen“, nämlich die Früchte zu sehen, zu deren Wachstum wir nicht betragen, an denen wir uns dennoch freuen und schließlich ihren Reichtum genießen.
Gelingt hier ein Brückenschlag zwischen europäischer und afrikanischer Tradition? Die Forderung nach nachhaltigen Lebensentwürfen stellte so etwas wie eine Gretchenfrage dar. Eine neue schöpfungsgemäße Beziehung zur Mitwelt war für afrikanische Ohren teilweise eine Zumutung, da man sich zuallererst um die Beseitigung der Notlagen von Menschen kümmern will und muss. In der Diskussion um den Klimawandel mit den immensen Folgen für den afrikanischen Kontinent wurde aber auch sichtbar, welche Rolle die Kirchen zu spielen haben, wenn wir in unseren Gesellschaften Verantwortung übernehmen wollen.
Die Eröffnung eines Bonhoeffer-Zentrums in Kigali mit einem Grußwort des EKD-Ratsvorsitzenden, in dem vor allem zur Friedensethik im Bereich der Großen Seen in Ostafrika, einer der größten Konfliktregionen weltweit, geforscht werden soll, ist nicht nur ein Schmankerl am Rande gewesen. Es ist auch ein Zeichen enger Verbundenheit zwischen den deutschen und afrikanischen Kirchen.
Die Tagung wurde von allen Teilnehmenden als äußerst wichtiger und längst überfälliger Schritt gewertet, um gleichberechtigt zwischen Europa und Afrika theologisch zu arbeiten. Wie wird sich das Verhältnis zwischen Afrika und Europa in kirchlicher und theologischer Hinsicht entwickeln? – Alle sind sich einig, dass diese Frage weitere Begegnungen braucht. Die Planungen dazu haben begonnen.
• Martin Domke ist Regionalpfarrer im Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung und Leiter des Eine Welt Zentrums Herne.
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Vom Mangobaum lernen
Eine theologische Tagung in Ruanda zum Thema „Afrikanische Theologien und das Erbe der Reformation“ fordert die Kirchen heraus. Eingeladen zu dem Symposium hatten die ruandische Universität PIASS und die Ruhruniversität Bochum