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Vom Himmel hoch

Martin Luther führte den „Heiligen Christ“ als Gabenbringer zu Weihnachten ein. Was ihm die Weihnachtsbotschaft im Glauben bedeutete, kommt am klarsten in seinen Liedern zum Ausdruck

akg-images / Rabatti - Domingie

Das Christkind bringt die Geschenke. Und Martin Luther hat das Christkind gebracht. Was auf den ersten Blick merkwürdig aussieht, hat beim genaueren Hinschauen durchaus seine Logik: In vorreformatorischer Zeit wurden Kinder am Nikolaustag (6. Dezember) beschenkt – oder am Tag der unschuldigen Kinder (28. Dezember). Weil Luther aber jede Form von Heiligenverehrung ablehnte, wird vermutet, dass er den Sankt Nikolaus durch den „Heiligen Christ“ ersetzt und den Tag der Bescherung auf das Christusfest am 25. Dezember verlegt hat. Die Gestalt des blondgelockten Gabenbringers im weißen Gewand leitet sich wohl von den Engelsfiguren der Verkündigungsspiele und Weihnachtsumzüge her.

Mit kleinen Geschenken auf Gottes Gabe hinweisen

Allerdings war es nicht Luthers Idee, das Christkind mit dem neugeborenen Jesuskind gleichzusetzen – das hätte er sicherlich empört von sich gewiesen. Ihm ging es wohl vielmehr darum, mit den kleinen Geschenken an die Kinder auf das große Geschenk Gottes hinzuweisen: seinen Sohn Jesus Christus. Denn dieses Kind in der Krippe stand für den Reformator im Zentrum seines Glaubens. Nicht als süßlicher „Knabe mit lockigem Haar“, sondern als der Mensch, in dem wortwörtlich Gott zur Welt kommt.
Am deutlichsten wird das vielleicht in den Liedern, die Luther für die Advents- und Weihnachtszeit dichtete: „Nun komm, der Heiden Heiland“ (eg 4) und „Gelobet seist du, Jesus Christ“ (eg 23). In dichten Worten kommt darin zur Sprache, was dieses Kind für die Welt bedeutet: In ihm kleidet sich der allmächtige, unendliche Gott in menschliche Gestalt – in „unser armes Fleisch und Blut“. Die Ewigkeit bricht in die Zeit hinein: „Den aller Welt Kreis nie beschloss, der liegt in Marien Schoß“. Er erlebt  mit den Menschen ihre Endlichkeit, ihre Dunkelheit, ihre Schmerzen bis hin zum Tod, den er durchleidet und besiegt: Er „fuhr hinunter in die Höll und wieder zu Gottes Stuhl“.
Und um das, was selbst für die Ohren seiner Zeitgenossen wahrscheinlich recht sperrig klang, noch einmal kindgerecht und für alle verständlich zu machen, dichtete Luther später sein berühmtes „Kinderlied auff die Weihenachten“, „Vom Himmel hoch, da komm ich her“. Er schrieb die Verse passend zu einer bekannten volkstümlichen Melodie, einem sogenannten „Kranzlied“, mit dem junge Männer beim abendlichen Beisammensein auf dem Dorfplatz um die Gunst einer Frau wetteiferten. „Ich kumm aus frembden Landen her“, hieß der Beginn des Textes ursprünglich. Es ist leicht zu erkennen, dass Luther die erste Strophe dieses Volksliedes fast wörtlich übernahm; gut möglich, dass er mit dieser Kombination für eine rasche Verbreitung des Liedes sorgen wollte.
Vier Jahre nach dem ersten Druck von „Vom Himmel hoch“ tauchte jedoch in den neuen Ausgaben der Gesangbücher eine andere Melodie auf: die uns noch heute bekannte. Sie wird Luther selbst zugeschrieben. Warum er die ursprüngliche ersetzte, ist nicht mehr sicher zu klären; es wird jedoch vermutet, dass die Verbindung von geistlichem Text und weltlicher Weise auf Kritik stieß. Fest steht, dass Luthers „Kinderlied“ mit der neuen Melodie zu einem der bekanntesten und beliebtesten Weihnachtslieder überhaupt wurde.
Wer alle 15 Strophen einmal in Ruhe durchliest, trifft auf klare, starke Bilder: Der Schöpfer liegt auf „dürrem Gras, davon ein Rind und Esel aß“, obwohl doch die Welt, wäre sie auch „vielmal so weit“ und „von Edelstein und Gold bereit‘“, für den König noch viel zu klein wäre.
Was dieser Gott, dieser Herr, dieser König eigentlich will mit seiner Geburt als kleines Kind, soll mit dem Lied in Herz und Verstand gesungen werden: „Er bringt euch alle Seligkeit, die Gott der Vater hat bereit‘“ – und die Antwort der Menschen darauf heißt, mit Luthers Worten: „Ach mein herzliebes Jesulein, mach dir ein rein sanft Bettelein, zu ruhen in meins Herzens Schrein, dass ich nimmer vergesse dein.“

Die liebevolle Großzügigkeit Gottes

Es ist die liebevolle Großzügigkeit Gottes, die Luther hier in einfachen, eingängigen Worten beschreibt. Dafür steht das Weihnachtsfest mit seinen Lichtern, seinem Festessen, seinen Geschenken: ein Fest des Schenkens – nicht des menschlichen, sondern des göttlichen.
Luther selbst hat übrigens wahrscheinlich seine Kinder gleich dreimal in der Weihnachtszeit mit Honigkuchen und Spielzeug beschenkt: zu Nikolaus, am Heiligabend und zu Neujahr. Vielleicht einfach deshalb, weil er sie als Vater mit Liebe überschütten wollte. Vielleicht aber auch, weil ihm Gottes Großzügigkeit das Herz übergehen ließ.
So oder so: Beide Haltungen wären zu Weihnachten der Nachahmung wert.