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Vom Glauben begeistert: Mission ohne Kolonialismus und Rassismus

Der Begriff Mission ist für viele Menschen ein verbrannter Begriff, zu eng verknüpft mit Kolonialismus und Rassismus. Die promovierte evangelische Theologin Claudia Währisch-Oblau zieht in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Mission – geht’s noch?“ eine kritische Bilanz und entwickelt postkoloniale Perspektiven mit Stimmen aus dem globalen Süden. Mission dürfe keine Einbahnstraße von Nord nach Süd sein, sagte die leitende Mitarbeiterin der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch die deutschen Kirchen seien Empfängerinnen von Mission.

epd: Im 19. Jahrhundert galten Missionare meist als Helden, die mit der christlichen Botschaft ferne Welten eroberten. Warum ist der Begriff Mission heute so in Verruf gekommen?

Währisch-Oblau: Das liegt an der Verknüpfung von Mission und Kolonialismus, der für Ausbeutung und Gewalt steht. Ich selbst bin noch mit diesen Heldengeschichten groß geworden und habe erst im Studium gelernt, was Kolonialismus bedeutet. Inzwischen gibt es überall diese Gleichsetzung von Mission und Kolonialismus, das ist ja auch nicht falsch. Aber ich habe das Gefühl, jetzt wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, wenn es heißt, beides war schlecht und wir sollten gar nicht mehr missionieren. Mission wird als etwas Übergriffiges empfunden, innerkirchlich jedenfalls, da ist ein Gefühl von Scham und Schuld. In meiner Trainingsgruppe im Kletterpark dagegen findet es niemand problematisch, dass ich für ein Missionswerk arbeite.

epd: In vielen Weltreligionen spielt Mission kaum eine Rolle, könnte das Christentum nicht einfach darauf verzichten?

Währisch-Oblau: Wenn du Erfahrungen mit Gott machst und der Glaube dich begeistert, dann willst du davon erzählen – das tun ja sogar Fußballfans, wenn sie über ihren Verein sprechen. Für mich ist eher die Frage: Warum sollte ich darüber schweigen? „Mission heißt zeigen, was man liebt“, sagt der Theologe Fulbert Steffensky. Das heißt nicht, alle anderen Religionen sind schlecht und wir müssen unseren christlichen Einflussbereich ausweiten, sondern wir leben als Minderheit nach anderen Maßstäben als unsere Umwelt.

epd: Grundlage ist bis heute der „Missionsbefehl“ aus dem Matthäusevangelium (Kapitel 28, Verse 16-20). Sie sprechen in Ihrem Buch von einem weitverbreiteten Missverständnis in Bezug auf diesen Text. Sollte man ihn neu interpretieren?

Währisch-Oblau: Auf jeden Fall brauchen wir eine Neuinterpretation! Matthäus 28 wird massiv missverstanden und ist in fast allen deutschen Bibeln falsch übersetzt. Obwohl das unter Sprachwissenschaftlern bekannt ist, haben wir eine lange Tradition der Fehlübersetzung, die sich auch in der Taufliturgie findet. Bei korrekter Übersetzung des Griechischen steht da „taucht sie ein“ – und zwar nicht „im“ Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, was ja etwas Autoritatives hat, sondern da steht: Tauft sie „in den Namen“. Das bedeutet: Bringt die Menschen in den Wirkungsbereich Gottes, nehmt sie mit hinein in eure Gemeinschaft – taucht sie ein. Ich behaupte sogar, da steht gar nicht „taufen“, sondern „eintauchen“. In der neuesten deutschen Bibelübersetzung, der Basisbibel, wird das zumindest in den Anmerkungen auch so erklärt.

epd: Neben dem Missionsverständnis kritisieren Sie auch ein nach wie vor elitäres Selbstverständnis europäischer Kirchen als Heilsbringer für die Welt. Theologieprofessor Lamin Sanneh aus Gambia sagt dagegen, das Christentum sei eine nicht westliche Religion. Wie ist das zu verstehen?

Währisch-Oblau: Das ist doch ein Fakt! Die ersten Christen waren jüdische Palästinenser, Menschen aus dem östlichen Mittelmeerraum. Dann hat sich das Christentum zunächst in die Türkei verbreitet, dann nach Europa und sehr früh auch nach Nordafrika. Der frühe Kirchenvater Augustin etwa, den wir als Römer abgespeichert haben, weil er dort lebte, stammte aus dem heutigen Algerien. Davon höre ich immer wieder durch meine Kontakte zu afrikanischen Christinnen und Christen, die sagen: Das hat doch alles mal bei uns angefangen, bevor uns die Missionare aus Europa die Botschaft wiedergebracht haben, der Anfang war hier.

epd: Welche Rolle spielt Rassismus in der Debatte um postkoloniale Mission?

Währisch-Oblau: Der Rassismus zeigt sich daran, dass Jesus irgendwann weiß geworden ist, wie meine Kollegin Sarah Vecera es in einem Buch beschreibt. Die kirchlichen Jesusbilder, die mir heute in Afrika und Asien begegnen, zeigen einen blonden, blauäugigen, hellhäutigen Mann. Aber es ist ziemlich sicher, dass Jesus so nicht ausgesehen hat. Er ist in einem Prozess, den man geschichtlich gut nachzeichnen kann, weiß wie die Missionare selbst geworden. Und so wurde er dann in alle Welt gebracht. Wenn wir heute in Veranstaltungen sagen „Jesus war doch gar nicht weiß“, gibt es einen Shitstorm, aber es ist einfach eine Tatsache.

epd: Mittlerweile gibt es Christen aus dem globalen Süden, die nach Europa kommen, wo die Kirchen immer leerer werden, um ihrerseits zu missionieren – Stichwort „Reverse Mission“. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Währisch-Oblau: Einer meiner Co-Autoren, Harvey Kwiyani, kritisiert den Begriff, weil er meint: Wenn man die Mission aus dem Süden als „reverse“ (umgekehrt) bezeichnet, heißt das implizit, dass das weiße Projekt als normal gilt. Darin sieht er Rassismus. Kwiyani sagt, es ist alles gleichwertige Mission, die Aktivitäten von schwarzen internationalen Gemeinden in Deutschland heute genauso wie die von weißen Missionaren im 19. Jahrhundert etwa in Afrika.

epd: Gibt es Merkmale, an denen man einen eher versteckten Rassismus in der Kirche erkennt?

Währisch-Oblau: Immer wenn ein Adjektiv dazu kommt, sollte man aufmerksam sein wie bei „Reverse Mission“ oder auch beim Begriff „kontextuelle Theologie“. Im Studium habe ich gelernt, dass feministische Theologie, Öko-Theologie oder schwarze Theologie kontextuell sind. Die Lehre von Karl Barth dagegen ist die Norm. Aber das stimmt nicht. Karl Barth ist auch kontextuell: Er steht für weiße, männliche, nordatlantische Theologie im 20. Jahrhundert.

epd: Sie plädieren für „postkoloniale Bibellektüre“. Wie sieht die aus?

Währisch-Oblau: Das bedeutet, darauf zu hören, wie Menschen im globalen Süden Bibeltexte verstehen. Die lesen sie vielfach komplett anders als wir, weil sie andere Lebensverhältnisse haben. Ich hatte ein Aha-Erlebnis in den 90er Jahren, als ich als klassisch protestantisch und weiß sozialisierte Frau für zwölf Jahre nach China kam. In einem Dorf sagte eine Frau zu mir: „Dass die Bibel wahr ist, sieht man doch an den Heilungen hier bei uns.“ Dadurch habe ich angefangen, die Heilungsgeschichten im Neuen Testament anders wahrzunehmen. Heute weiß ich, dass Gebet und Heilung für viele in Asien und Afrika selbstverständliche Erfahrungen sind. Diesen Lernprozess nenne ich postkoloniale Bibellektüre oder auch Lerngemeinschaft.

epd: Sie erzählen auch von Dämonenaustreibung als Glaubenserfahrung in anderen Kulturen.

Währisch-Oblau: Das ist auch so ein Thema, mit dem wir hier überhaupt nichts anfangen können, aber für viele Kirchen im globalen Süden ist das eine Realität. Die Menschen dort rechnen damit, dass böse Mächte in ihr Leben eingreifen, und fragen, wie sie sich schützen können. Wir reden in unserer säkularisierten Welt eher von Schicksalsschlägen, aber im Süden geht es um die Frage: Wer beschützt mich vor Autounfall, Arbeitslosigkeit, Kinderlosigkeit, Krankheit? Wer bei uns an Krebs erkrankt, fragt sich auch: Womit habe ich das verdient? Aber wir glauben nicht, dass es Dämonen gibt oder jemand mich verflucht oder verhext hat oder die Ahnen verärgert sind. Im Süden ist das aber so, und dann lesen sie, dass Jesus die Dämonen austreibt, und so wird es im Gottesdienst auch praktiziert.

epd: Ist das auch Thema bei ökumenischen Besuchen?

Währisch-Oblau: In der Regel nicht, weil niemand aus dem Süden als abergläubisch und rückständig dastehen will. Es geht darum zu verstehen, dass das christliche Ritual der Dämonenaustreibung oder der Heilungsgottesdienste den Kirchen im globalen Süden wichtige Handlungsmöglichkeiten gibt. Hier bei uns wird ja auch für kranke Menschen gebetet und Seelsorgerinnen erzählen mir, dass viele Kranke Gebet oder Segen gerne annehmen.

epd: In allen größeren deutschen Städten gibt es Migrationsgemeinden. Wieso sind sie so wenig präsent im kirchlichen Leben?

Währisch-Oblau: Viele hier können sich gar nicht vorstellen, dass Missionarinnen und Missionare aus dem Süden kommen und uns was zu sagen haben. Die deutsche Kirche als Empfängerin von Mission, das ist ein völlig fremder Gedanke, ich sehe nur wenig Lernbereitschaft. Die Koreanerinnen dürfen für das Gemeindefest kochen, der afrikanische Gospelchor darf singen, aber jemand mit Migrationshintergrund, der oder die predigt, das ist selten.

Auch das hat teilweise mit Rassismus zu tun, eher unbewusst – und damit, dass diese Gemeinden oft charismatisch geprägt und sehr emotional sind. Das mögen die meisten in unserer deutschen weißen Kirche einfach nicht, es gibt eine massive Abwehr gegen Emotionalität und Kontrollverlust.

epd: In Ihrem Buch ist von der Vision einer „polyzentrischen Mission“ die Rede, in der Nord und Süd gleichberechtigt sind. Wie könnte das aussehen?

Währisch-Oblau: In der weltweiten Ökumene gibt es aktuell eine Diskussion über Mission von den Rändern. Sie geht davon aus, dass das Zentrum der globale Norden und die Reichen sind, an den Rändern sind die Armen und der globale Süden. Beim Ansatz der polyzentrischen Mission dagegen ist der Norden nicht das Zentrum, sondern selbst auch Empfänger von Mission, überall auf der Welt gibt es einzelne Feuer, die die Geistkraft Gottes entfacht und die sich ausbreiten. Oft gar nicht geplant und kontrolliert: Mission geschieht einfach, ohne Missionswerke oder kirchliche Strukturen. Das ist die Vision einer „polyzentrischen Mission“ ohne die Dominanz des Nordens, aber das ist leider noch Zukunftsmusik.

epd: In der Gesamtschau auf die letzten beiden Jahrhunderte: Sehen Sie mehr Schuld- oder mehr Segensgeschichte durch missionarische Aktivitäten?

Währisch-Oblau: Im Laufe der Jahre bin ich vorsichtig damit geworden, aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts zu sagen, das ist Rassismus und Kolonialismus, sondern ich versuche, genau hinzusehen. Es entschuldigt nichts, aber es gibt mehr als die Seite der Schuldgeschichte. Dieses Herzblut und Engagement der frühen Missionare war auch eine Segensgeschichte. Man kann die Geschichte nicht schwarz-weiß lesen.