Ein grobes Wort, eine unbedachte Tat: Das passiert wohl jedem einmal. Und klar ist dann meistens auch, dass es nach einem Fehltritt eigentlich nur einen Ausweg gibt: Man bittet um Entschuldigung und meint es auch genau so. Aber just dies kann zum Schwierigsten in Paarbeziehungen, in Familien, unter Freunden und Kollegen gehören. Warum eigentlich, wenn es doch so dringend geboten wäre?
Wenn Konflikte schwelen und Familien über Weihnachten längere Zeit zusammen verbringen, kann es schwierig werden. Dabei wäre das Fest von der Geburt Jesu, der für Christen der Erlöser ist, kein schlechter Anlass, zerschnittene Tischtücher zu flicken und Gräben zuzuschütten.
Am Anfang steht die Schuld
Am Anfang steht die Schuld. Zum Beispiel, wenn Eltern ihre Kinder ungerecht behandeln, jemand das Vertrauen des besten Freundes missbraucht oder ein anderer gar eine Straftat begeht. Das heißt, es gibt Opfer. „Ein Opfer ist erst einmal allein mit dem Täter und der Tat“, sagt der Düsseldorfer Psychoanalytiker Mathias Hirsch. Dabei wolle der Mensch in der Gemeinschaft eingebettet sein.
Dem Opfer könne es helfen, wenn der Täter um Verzeihung bitte und seine Schuld anerkenne. In schweren Fällen sei es gut, wenn in einem Gerichtsprozess oder in der Umgebung des Täters eine Schuld wenigstens bestätigt werde – bei Gewalt- oder Missbrauchsdelikten könne so möglicherweise eine „sekundäre Traumatisierung“ beim Opfer verhindert werden. Wichtig ist, dass klar werde: „Du bist schuld, und ich bin unschuldig.“
Um Entschuldigung zu bitten, kann unendlich schwierig sein. „Man schämt sich“, sagt Hirsch, der das Buch „Schuld und Schuldgefühl“ geschrieben hat. „Außerdem ist das Selbstbild angekratzt.“ Und: „Je größer die Tat, umso größer die Schwierigkeit, um Verzeihung zu bitten.“ Wer dies dennoch schafft, kann darauf hoffen, dass die Entschuldigung angenommen, ihm verziehen wird und es zu einer Versöhnung kommt.
Und wenn nicht: Ohne eine vorausgegangene Bitte um Entschuldigung könne man auch nicht verzeihen, meint Hirsch. Wer nicht um Verzeihung bitte, dem sei letztlich auch die Beziehung zu dem anderen weitgehend egal. Es gebe allerdings Fälle, in denen zum Beispiel Kinder gewalttätiger Eltern nach jahrelanger Therapie in der Lage seien, „innerlich“ Vater und Mutter zu verzeihen.
Aber auch das ist nicht immer möglich, wie der Fachmann betont. Denn: „Man bittet um Verzeihung wie um eine Gnade.“ Auch sie wird nicht immer erteilt, wenn die Verletzung zu groß, die Beziehung zum Verursacher schon vor der Tat nicht mehr die beste gewesen ist. Wer zur Zielscheibe etwa einer Beleidigung wurde, kann Hirsch zufolge zu seinem eigenen Vorteil verzeihen: „Wenn ein Opfer verzeihen kann, kann es trauern und akzeptieren, dass ein Täter so war wie er war.“