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Verspäteter Denkmalschutz für DDR-Gebäude

Nach Jahrzehnten, in denen Gebäude aus der DDR-Zeit abgerissen wurden, wächst das Bewusstsein für den kulturellen Wert unter anderem der Ost-Moderne. So werden etwa im Ostteil Berlins immer mehr Bauten von vor 1989 unter Denkmalschutz gestellt, darunter die ehemalige Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg oder zuletzt Plattenbauten in Berlin-Mitte.

Der Direktor des Landesdenkmalamts Berlin, Christoph Rauhut, begründete die Entscheidung für den Schutz der Plattenbauten im Oktober mit dem Argument, mit den Wohn- und Geschäftshäusern sei die behutsame Erneuerung der historischen Stadt international zum Leitbild einer neuen Bau- und Planungspraxis geworden: „Nur in Berlin haben wir das große Glück, dass sich herausragende Bauprojekte aus Ost und West an einem Ort erhalten haben.“

Der Berliner Architekt Thorsten Dame sagt, Denkmäler würden in die Berliner Denkmalliste aufgenommen, „wenn eine geschichtliche, künstlerische, städtebauliche oder wissenschaftliche Bedeutung vorliegt“ und es Interesse am Erhalt gebe. Denkmalbewusstsein entwickle sich dabei ständig weiter, sagt der Mitarbeiter des Landesdenkmalamtes.

Auch Symbole des Machtanspruchs der SED wie die ehemalige Stasi-Zentrale stehen heute unter Denkmalschutz. Die Bauten und Freiflächen zeigen laut Dame bis heute die schrittweise Entwicklung des MfS zu einem der größten staatlichen Überwachungs- und Unterdrückungsapparate der Welt. „Sie ist einerseits ein wichtiges Zeugnis der SED-Diktatur und der Teilung Europas in Ost- und West, andererseits durch ihre Besetzung am 15. Januar 1990 und ihre heutige Nutzung zugleich ein bedeutender Handlungsort der Oppositions- und Demokratiebewegung der DDR“, sagt der Denkmalschützer.

Der ehemalige Berliner Kultursenator und Linken-Politiker Thomas Flierl hat sich gemeinsam mit dem Landesdenkmalamt vergeblich dafür eingesetzt, dass sich Berlin mit der Karl-Marx-Allee im Ostteil und dem Hansaviertel im Westteil der Stadt für die deutsche Vorschlagliste zum Unesco-Welterbe bewirbt. Der erste Bauabschnitt der damaligen Stalinallee aus den frühen 1950er Jahren mit seiner Orientierung an „nationalen Bautraditionen“ wie der preußischen Schinkelschule, und am Modell „sozialistischer Magistralen“ wie in Moskau, Kiew oder Warschau sei eine „Kampfansage“ an den Westen gewesen, sagt der Architekturhistoriker. Im Westen sei als Antwort darauf das Hansaviertel entstanden, das sich an der internationalen Moderne und am Modell der offenen Stadtlandschaft orientiert habe.

Mit dem zweiten Bauabschnitt der damaligen Stalinallee und heutigen Karl-Marx-Allee sei es zu einer erneuten Kehrtwende gekommen, sagt Flierl. Die damaligen Städteplaner in Ost-Berlin hätten sich auf „Anregung“ aus Moskau vom nationalen Kurs abgewandt und sich vielmehr an der Industrialisierung des Bauwesens und an einer „sozialistischen Moderne“ orientiert. Mit der Unesco-Bewerbung hätte gezeigt werden können, dass „dieser baukulturelle Streit zwischen Traditionalismus und Avangardismus in Berlin exemplarisch stattgefunden hat“, bedauert Flier.

Der Historiker für europäische Stadt- und Urbanisierungsgeschichte des 20. Jahrhunderts, Harald Engler, beobachtet große Unterschiede im Umgang mit DDR-Architektur zwischen den einzelnen Bundesländern. In Sachsen und Thüringen würden weniger Gebäude aus dieser Zeit für erhaltenswert gehalten, in Berlin seien die Behörden dagegen offener, sagt der Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung in Erkner (Brandenburg),

Der Abriss des Palastes der Republik in Berlin zwischen 2006 und 2008 erinnert Engler an die in der Antike im Römischen Reich übliche „damnatio memoriae“ (Latein: Ächtung der Erinnerung). So wurden nach dem Tod römischer Kaiser etwa deren Porträts an Triumphbögen in Rom ausgelöscht.

Nach der Wiedervereinigung wurde laut Engler das politische System der DDR mit der Kultur und Architektur der Zeit gleichgesetzt. Er spricht von „Siegermentalität“ und Unwissenheit. Der Umgang mit dem baulichen DDR-Erbe sei damals stark von der westlichen Sicht geprägt gewesen, die Charakter und Qualität der Architektur und die Bedeutung für die Bewohner nicht erkannt habe. Der Abriss des Palasts der Republik und der Berliner Großgaststätte Ahornblatt an der Fischerinsel wären laut Engler bereits in den 2010er Jahren nicht mehr denkbar gewesen.