Nach der Landung von 105 Migranten in Neapel hat die deutsche Rettungsorganisation Sea-Eye harte Kritik an Italien geübt. Dadurch, dass die Küstenwache ihrem Schiff den über 480 Kilometer entfernten Hafen zugewiesen habe, hätten die Geretteten viel länger auf medizinische Versorgung warten müssen. Ein sizilianischer Hafen wäre deutlich schneller erreichbar gewesen, erklärte die Organisation mit Sitz in Regensburg am Dienstag. Zuvor hatten die Behörden den Angaben zufolge den Hafen Pesaro genannt, der 1.000 Kilometer von der Rettungsstelle entfernt liegt.
Nach einem neuen italienischen Dekret müssen zivile Schiffe nach einer Seenotrettung unverzüglich den ihnen zugewiesenen Hafen ansteuern, auch wenn es nicht der nächstgelegene ist, und dürfen auf keine weiteren Notfälle reagieren. Die Menschenrechtskommissarin des Europarats kritisierte Italien für diese Regelung; Fachleute für internationales Recht halten sie für rechtswidrig.
Der Vorsitzende von Sea-Eye, Gordon Isler, nannte es “zynisch, bei der Zuweisung des Hafens von Neapel von einem Entgegenkommen zu sprechen”. Die italienische Regierung erschwere die Arbeit von Seenotrettungsorganisationen und verlängere so auch das Leid schutzsuchender Menschen. Es gehe darum, mit allen verfügbaren staatlichen und zivilen Ressourcen möglichst viele Todesfälle zu verhindern, sagte Isler. Er sprach wörtlich von einem “andauernden Verbrechen gegen die Menschlichkeit”.
Junge Mutter stirbt im Krankenhaus
Das Rettungsschiff Sea-Eye 4 hatte den Hafen von Neapel am Montagnachmittag mit 105 geretteten Migranten erreicht. An Bord waren auch zwei Tote. Eine weitere Person war nach einer Notfallevakuierung am Sonntag in einem Krankenhaus an Land gestorben. Unter den Toten ist laut Sea-Eye eine junge Mutter; ihr Baby überlebte.
Die Menschen waren in der Nacht zu Freitag in zwei Einsätzen geborgen worden. Einsatzärztin Angelika Leist vom Verein German Doctors sagte, vor allem die Personen der ersten Rettung seien “in einem extrem schlechten Gesundheitszustand” an Bord gekommen. Sie hätten sechs Tage ohne Essen und ohne Trinkwasser zugebracht.