Fatima Hussaini hielt es zunächst für ein Gerücht, als sie am Abend des 1. Dezembers die Nachricht in ihrem Klassen-Chat sah. „Ab morgen findet kein Unterricht mehr statt“, schrieben die Lehrer des privaten medizinischen Instituts am Stadtrand der afghanischen Hauptstadt Kabul. Seit einigen Monaten ließ sich die 20-Jährige, deren Name aus Sicherheitsgründen geändert wurde, dort zur Hebamme ausbilden. „Diese Ausbildung war meine letzte Chance“, sagt sie.
Denn ihren eigentlichen Berufswunsch, Journalistin zu werden, hatten die Taliban bereits unmöglich gemacht. Nun scheint auch die Hebammenausbildung vorerst beendet: Anfang Dezember ordnete der oberste Taliban-Führer Hibatullah Achundsada die Schließung aller medizinischen Einrichtungen für Frauen an. Videos im Internet zeigten wütende und verzweifelte Studentinnen, die landesweit nach Hause geschickt wurden und sich zum Teil heftige Auseinandersetzungen mit den Wächtern des Taliban-Sittenministeriums lieferten.
Bereits kurz nach ihrer Machtübernahme im Sommer 2021 hatten die Taliban zunächst die weiterführenden Schulen für Mädchen, dann die Universitäten für Frauen geschlossen und sie aus den meisten Berufen verbannt. Die Ausbildungsstätten für Hebammen, Krankenschwestern und Apothekerinnen waren die letzten Bastionen der Hochschulbildung für Frauen. Nach Berichten des afghanischen Ablegers der britischen BBC trifft das Verbot mehr als 17.000 Studentinnen.
Die Folgen werden nach Einschätzung von „Ärzte ohne Grenzen“ dramatisch, das Gesundheitssystem erheblich beeinträchtigt. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation haben bereits jetzt nur zehn Prozent der Frauen in Afghanistan Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Zudem gehört die Müttersterblichkeit zu den höchsten der Welt.
Laut einem Bericht der Vereinten Nationen von 2023 sterben jeden Tag knapp 24 Mütter in Afghanistan durch Komplikationen während der Schwangerschaft. Das Verbot der Hebammenausbildung könnte die Müttersterblichkeit noch erhöhen, schon allein, weil Männer in der Regel keine Frauen behandeln dürfen. Und wenn doch, ist dabei bislang die Anwesenheit weiblicher Assistentinnen Pflicht.
Erst im Februar hatte das afghanische Gesundheitsministerium einen Erlass an die Ministerien der 34 Provinzen geschickt, die medizinische Ausbildung von Frauen ausdrücklich zu fördern. Neben Hunderten von kleinen privaten Ausbildungsstätten gab es dafür landesweit auch eine Reihe staatlicher Einrichtungen unter Taliban-Führung.
Die widersprüchliche Politik deutet auch auf interne Konflikte innerhalb der Taliban-Regierung hin: So berichtete unter anderem BBC Farsi, dass es wenige Tage nach dem Verbot ein Treffen des Kabinetts gegeben habe, bei dem dieses kontrovers diskutiert worden sei. Innenminister Sirajuddin Haqqani und weitere hochrangige Taliban hatten sich öffentlich für die Bildung von Frauen ausgesprochen – wenn auch ohne die eigene Führung direkt zu kritisieren. Haqqani mahnte in einer Rede nur wenige Tage nach dem Verbot sinngemäß, man könne nicht davon ausgehen, dass die Entscheidungen der Führung nicht auch kritisch hinterfragt würden.
Die neuen Verbote dürften daher ein weiterer Schritt Achundsadas bei der Festigung seiner Macht sein. Der in Kandahar residierende Führer verfolgt einen ultrakonservativen Kurs, der auf einer frühislamischen Auslegung der Scharia und jahrhundertealten Stammestraditionen beruht. Es war auch sein Machtwort, das Mädchen von den Schulen ausschloss, und später Frauen von Universitäten. Dass es zu einem offenen Bruch kommen könnte, scheint bisher jedoch unwahrscheinlich. Zu sehr waren die Taliban in der Vergangenheit auf ihre Einheit bedacht, um ihre Herrschaft nicht zu gefährden.
„Wie sollen afghanische Frauen zukünftig Kinder in die Welt bringen, wenn es keine Hebammen mehr gibt?“, fragt Fatima Hussaini. Für junge Frauen wie sie seien mit dem Verbot nun endgültig alle Hoffnungen auf eine Zukunft verloren. „Ich wollte immer weitermachen, auch trotz der Taliban“, sagt sie. „Nun sind alle meine Träume begraben.“