Donald Trump inszeniert sich als Beschützer der Juden. Doch viele der 7,5 Millionen US-Juden trauen ihm nicht. Die Ermordung zweier israelische Botschaftsmitarbeiter verstärkt unter ihnen ein ungutes Gefühl.
Rabbinerin Nancy Kasten kennt Menschen, die 2022 eine Geiselnahme in der Beth Israel Synagoge von Colleyville im US-Bundesstaat Texas miterlebten. Die Geistliche aus Dallas erinnert sich noch gut daran, wie Politiker damals versuchten, den Vorfall auszuschlachten. Umso mehr fürchtet sie nach dem Mord an den beiden israelischen Botschaftsmitarbeitern Yaron Lischinsky (30) und Sarah Milgrim (26) in Washington, dass sich dies nun wiederholt.
Der “Washington Post” schilderte Kasten die Befürchtung, dass im Namen des Kampfes gegen Antisemitismus nun die Redefreiheit eingeschränkt werden könnte. Der Attentäter rief nach seiner Bluttat pro-palästinensische Parolen. Kurz darauf strich die Regierung von Donald Trump Harvard-Universität weitere Mittel – unter Verweis auf angeblich unzureichende Maßnahmen gegen Antisemitismus am Campus. Rabbinerin Kasten meint dazu, sie wisse nicht, warum dies “Juden, Israelis oder jemanden sonst in Zukunft sicherer machen sollte”.
Tatsächlich fühlen sich Juden in den USA zunehmend unwohl in Trumps Amerika. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage des Meinungsforschers Mark Mellman, die dieser kurz vor dem Attentat in Washington publizierte. Das Institut GBAO Strategies hatte dafür 800 Wähler jüdischen Glaubens zur Politik des neuen Präsidenten befragt. Demnach stellen sie dem Make-America-Great-Again-Präsidenten, der vorgibt, “der beste Freund” der Juden zu sein, ein bedenkliches Zeugnis aus.
Sieben von zehn befragten jüdischen Wählern missbilligen Trumps Politik zu Beginn seiner zweiten Amtszeit. Sie halten ihn für “gefährlich” (72 Prozent), “rassistisch” (69 Prozent) und “faschistisch” (69 Prozent). Aufhorchen lässt das Urteil auch beim Thema Antisemitismus. Mehr als die Hälfte der Befragten (52 Prozent) hält dem MAGA-Präsidenten vor, selbst Antisemit zu sein.
US-Juden seien “zutiefst beunruhigt über die Richtung, in die Trump das Land führt”, bilanziert Mellman. Dazu zählen angekündigte Abschiebungen von pro-palästinensischen Aktivisten an US-Hochschulen; aber auch Mittelkürzungen in Milliardenhöhe für Eliteunis, wenn diese angeblich nicht genügend gegen Antisemitismus vorgehen.
“Juden sind eng mit dem Rechtsstaats-Gedanken verbunden”, so Ian Lustick, emeritierter Politikwissenschaftler der University of Pennsylvania. “Der Glaube an Rechtsstaatlichkeit liegt uns im Blut.” Es sei sehr beängstigend, wenn dieser “eklatant missbraucht” werde. Mehr als sechs von zehn US-Juden gaben an, dass Trump mit diesen Maßnahmen Antisemitismus nicht bekämpfe, sondern eher fördere. “Die Intensität der Opposition ist außergewöhnlich”, so Mellmans Partner Jim Gerstein.
Traditionell neigen Juden in den USA den Demokraten zu. Doch Trump konnte in dieser Gruppe Fortschritte machen. 2024 konnte er gegenüber 2020 um zwei Prozent Stimmenanteil zulegen. Laut Nachwahlumfragen der Nachrichtenagentur AP kam er in dieser Gruppe fast auf ein Drittel der Stimmen (32 Prozent).
Auffällig an der Umfrage ist eine unterschiedliche Wahrnehmung der Trump-Politik zwischen US-Wählern jüdischen Glaubens und Institutionen, die jüdische Interessen vertreten. Dazu zählen etwa die Anti-Defamation League, die gegen Diskriminierung von Juden eintritt, oder das American Jewish Committee. Beide stehen fest an der Seite der israelischen Regierung und geben Sympathien für Trumps Kurs zu erkennen, Kritik an Israels Gaza-Politik als antisemitisch zu brandmarken.
Dabei sind es gerade liberale US-Juden, die ihre Stimme gegen Benjamin Netanyahus Vorgehen gegen die Palästinenser erheben. In diesem Jahr schlossen sich zum Jahrestag der Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat 1948 – als “Nakba” (dt. Katastrophe) bezeichnet – vielen US-Synagogengemeinden aus New York, Boston und Chicago an.
Ein halbes Dutzend jüdischer US-Gruppen unterstützt eine Resolution der demokratischen palästinensischstämmigen Kongressabgeordneten Rashida Tlaib für eine förmliche Anerkennung der “Nakba” als Gedenktag; darunter IfNotNow, Jewish Voice for Peace oder Rabbis for Ceasefire. Der Historiker Eric Alterman erkennt darin ein Beispiel für zunehmende Entfremdung der US-Juden von traditionellen Institutionen. Letztere verlören vorwiegend bei den Jüngeren an Glaubwürdigkeit.