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„Uns verbindet der Hunger nach Sinn“

Müssen Christen mit Muslimen über ihren Glauben reden? Andreas Goetze, Landespfarrer der EKBO für den interreligiösen Dialog mit Dienstsitz im Berliner Missionswerk, im Gespräch mit Amet Bick.

Von Amet Bick

Herr Goetze, warum brauchen wir den interreligiösen Dialog mit dem Islam?Wir leben in einer Welt, in der es nötig ist, den anderen zu kennen. Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass Europa einheitlich christlich geprägt ist. Heute gibt es eine viel größere Vielfalt. Begegnungen miteinander fördern die demokratische Kultur, führen dazu, dass ich sowohl mich als auch den anderen besser verstehe und Feindbilder abbaue.Wie gestaltet sich dieser Dialog konkret?Vor kurzem habe ich beispielsweise in Berlin die Reihe „Unterwegs an Orten des Gebets“ mit initiiert. Juden, Muslime und Christen haben sich getroffen und gemeinsam eine Synagoge, eine Moschee und eine Kirche besucht. Das war eine schöne Erfahrung. Weil man sich zeigt, dass man sich wertschätzt. Und plötzlich sieht man konkrete Gesichter vor sich, und redet nicht länger über „das“ Christentum, „den“ Islam und „das“ Judentum. Und es ging dabei humorvoll zu, was dem Dialog auch gut tut.Gibt es noch andere Beispiele?Der christlich-muslimische Dialog ist in Berlin vor allem stadtteilbezogen und in den Kirchengemeinden entstanden. Meist ist der Ablauf ähnlich: Es gibt ein größeres Interesse daran, wie muslimische Nachbarn leben und ein oder zwei organisierte Begegnungen. Vielen reicht das schon, aber einige möchten mehr wissen und den Kontakt vertiefen. In Neukölln gibt es etwa eine christlich-muslimische Gruppe, die sich einmal im Monat trifft und Texte aus Bibel und Koran miteinander liest. Da gibt es eine echte Neugier aufeinander. Und wenn das Vertrauen nach einer gewissen Zeit gewachsen ist, können auch strittige Themen zur Sprache kommen. In einer Gruppe in Rixdorf wird gerade die Scharia und das Verhältnis von Religion und Staat diskutiert. Und wie sieht es in Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz aus?Muslime leben kaum in dieser Region, aber viele Menschen, die mit Glauben selbst gar nichts anzufangen wissen. Da gilt es eher, das „Gottesgerücht“, die Frage nach Gott wachzuhalten.Wie kann es zu Begegnungen kommen, wenn keine Muslime oder Juden in meinem Ort leben?Die Schulen haben hier eine ganz wichtige Funktion. Im Religionsunterricht kann man beispielsweise über andere Religionen sprechen und dann einen Ausflug nach Berlin machen und eine Moschee oder Synagoge besuchen. Auch Gemeindeglieder sind gefordert. Wenn am Stammtisch Vorurteile laut werden, müssen sie gute Antworten parat haben. Sie müssen sich also über den Islam informieren und darlegen können, wie das Zusammenleben der Religionen aussehen kann. Wir haben es häufig mit Menschen zu tun, die keine Sensibilität mehr dafür haben, was es bedeutet, gläubig zu sein. Sie sind nicht bereit, das wertzuschätzen, was den anderen trägt. In diesem Kontext bewegen wir uns, egal ob in Berlin, in Brandenburg oder der schlesischen Oberlausitz.

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