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Unheimliches Pfingsten

Die Apostelgeschichte berichtet vom Wirken des Heiligen Geistes 50 Tage nach Ostern. Wie die einfachen Menschen das wohl erlebt haben? Eine Pfingstgeschichte.

Mir war unheimlich zumute. Ich, als Sklave, hatte schon genug Unheimliches erlebt, aber doch nicht so! Dazu diese Wut in mir, wegen des schweren Präsentkorbes, den ich mal wieder für meinen römischen Herrn befördern musste zum Fest seiner zahlreichen Freunde.

Ich werde alt. In meinem Köper stimmt es längst nicht mehr. Ich möchte Haussklave sein wie der Äthiopier. Ein bisschen putzen, ein bisschen staubwedeln, interessante Sachen hören. Der Äthiopier weiß sich einzuschmeicheln, der Schleimer. Er tut noch unterwürfiger als wir anderen. Das wirkt. Am liebsten würde ich  ihn in Stücke reißen.
Stattdessen schleppte ich meine Lasten in die feinen Häuser. So war ich auch an diesem merkwürdigen Tag unterwegs mit einem riesigen Binsenkorb voller Wein und Spezialitäten.

Unterwürfig und voller Zorn

Und mit den Schmerzen in der Lendenwirbelgegend. Samt meiner Wut. Eine Revolution müsste kommen, die alle reichen Römer hinwegfegt, wünschte ich dringlich. Heiß war mir vom Schleppen, heiß war mir von der Sonne, am heißesten aber war mir von meinem Zorn.

Plötzlich, am Ölberg, kein Durchkommen mehr. Weil ich schon eine halbe Stunde Weg von Jerusalem hinter mir hatte, war mir das ganz recht. Ich erkannte ein paar der Wortführer, von den Straßen in Jerusalem her: Da war Bartholomäus. Auch den Jakobus, Sohn von Alphäus, erkannte ich, und Simon, der zur Partei der Zäloten gehört hatte. Auch Frauen waren dabei.

Freundlichkeit auch für einen Sklaven

Allmählich merkte ich, dass die Anhänger des vor gut sieben Wochen angeblich vom Tod auferstandenen Jesu sich zu ihrem Jüdischen Pfingstfest versammelt hatten. Sie waren freundlich zu mir, wiewohl ich ja nicht dazugehörte. Ich, eine Randfigur, ein malader Sklave, in einem reichen Haus dienend, dessen Besitzer zur Besatzungsmacht gehörte. Also mitschuldig war am Tod ihres Jesus von Nazareth.
Erst hatten sie sich, nach dem Kreuzestod, in ihren Tempel zurückgezogen, dann geschah die Auferstehung ihres Meisters und sein plötzliches Verschwinden. Nun aber waren sie zahlreich versammelt im Freien, zogen wie schon so oft eine riesige Menschenmenge an, warteten auf etwas, das sie „die neue Gotteskraft“ nannten, die ihnen ihr Meister versprochen hätte.

Nun ja. Ich rastete und würde später eine gute Ausrede haben. Ich erwartete nichts. Die festgefügte alte Ordnung, in der die einen Herren waren und die anderen Sklaven, wer sollte diese Ordnung ändern? Jeder von uns ein Einzelkämpfer, innerhalb unterschiedlichster Kulturen? Wie fremd wir einander sind. Da sind die Einheimischen, da die Migranten, und über allen die verhassten römischen Machthaber. Dieser Jesus war nicht der Einzige, den sie ans Kreuz nagelten. Es gab mehr Unruhestifter in Galiläa, die ihre gefährlichen Friedensempfehlungen ausgesprochen hatten.

Auch hier nun  hatte sich ein Völkergemisch eingefunden: Kreter, Parther, Ägypter, Römer, Meder, Elamiter, ich selber ein Sklave aus Mesopotamien, aber auch Kappadozier waren anwesend und Leute aus Pamphylien.

Während ich so saß und mich ausruhte, geschah das Unheimliche. Es begann mit einem Brausen, das vom Himmel kam. Wir hörten einander plötzlich in unserer eigenen Muttersprache reden. Wir fühlten plötzlich und beglückend: Wir waren eines Geistes. Jeder verstand jeden. Freilich blieben die Sprachen voneinander getrennt, es gab weiterhin Aramäisch oder Griechisch und so weiter, aber: Sie sind nicht mehr undurchdringlich, sie lassen sich ineinander übersetzen. Jeder versteht den anderen. Ich muss nicht unbedingt Kreter sein, um in Zukunft die Kreter zu verstehen. Wir haben unsere Strafe verbüßt: Der Turmbau zu Babel, als wir Gott gleich sein wollten und mit babylonischer Sprachverwirrung bestraft wurden, ist außer Kraft gesetzt.
Ich konnte tief durchatmen, ohne dass mir die elenden Rippen wehtaten.

Man verstehe mich nicht falsch: Die Römer blieben Römer und die Griechen blieben Griechen. Aber: Wir wurden alle erfüllt von einem universalen Geist. Der riss die Mauern nieder, nicht nur die der Sprachen. Auf jeden Einzelnen von uns ließ sich eine Feuerzunge nieder. Ohne Ansehen der Person. Auch auf uns Sklaven. Auch auf die Frauen.

Dieser neue Geist, diese neue Kraft

Plötzlich stand das Gemeinsame im Mittelpunkt, nicht mehr das Trennende. So soll es also möglich sein, dass wir miteinander ohne Feindschaft und Gewalttätigkeit leben können?

Zunächst waren wir baff. Mir wurde richtig schwindlig. Derart ungewohnte Gedanken hatten wir nie gedacht. Dieser neue Geist, der uns  überkam, hat die Kraft, das Unterste nach oben zu wenden. Kein Wunder, dass er mit den Elementen Sturm und Feuer auftritt. Er wird die Welt durchpusten und die Menschen entflammen. Nun ist für mich denkbar geworden, was undenkbar war: Es wird nicht immer Herren und Sklaven geben. Dieser Geist wird Institutionen ins Wanken bringen, Gewohnheiten, auch Denkgewohnheiten, prüfen und ändern.

Die Jünger verkündeten gleich in allen Sprachen, dass Jesus auferstanden sei und lebendig wenn auch unsichtbar unter ihnen sei. 3000 Menschen wandten sich auf der Stelle dem christlichen Glauben zu. So auch ich.

Erleuchtet und verbunden

Außenstehende, die vorübergingen, zeigen auf meinen Weinkorb und meinten lachend, die Menge sei betrunken, wenn nicht gar verrückt. Aber wir waren nicht „voll süßen Weines“. Wir waren Erleuchtete. Verbunden miteinander durch etwas, das nicht aus uns selbst kam. Vielleicht wird man es später „Heiliger Geist“ nennen. Es muss keinen ewigen Kampf geben auf dieser Welt. Wir könnten zur Wohnung dieses Geistes werden. Ich werde es dem Äthiopier sagen. Meine Wut auf ihn ist verschwunden.

Erika Ruckdäschel, Jahrgang 1939, ist Journalistin und Autorin. Die Erzählung stammt aus ihrem jüngsten Buch „Von Freundschaft und Eis“ mit fiktiven Porträts biblischer Gestalten, Beggerow-Verlag, 99 Seiten, 12,90 Euro.