Ans Meer! Wie oft ist dieser Ausruf zu hören. Gerade jetzt, in diesem Sommer. Als Vorfreude. Als Ankündigung. Als Sehnsucht. „Meer geht immer“: Entsprechende Postkarten füllen die Metallständer vor den Buchhandlungen. „Ich will Meer!“
Aber worin liegt die Faszination des Wassers? Da ist sein Rauschen, die ständige Bewegung. Manchmal die unbändige Gewalt der Wellen. Oder das Glitzern der Sonne auf ruhiger See.
Aber vor allem: Da ist das Wasser – und sonst nichts. Keine Häuser. Keine Autos. Keine Menschen. Nur Wasser, Himmel. Und die schmale Linie, die Horizont genannt wird.
Unendliche Weite.
Die große Politik, Arbeit, Konflikte – sie können mit einem Mal weit weg sein. Keine Ablenkung. Keine Anrufe. Keine E-Mails. Das ist der Ausnahmezustand: Ich bin ganz auf mich selbst verwiesen.
Meditation kann einen ähnlichen Effekt haben. Manche finden diesen Zustand auch im Wald, in den Bergen oder in der Wüste: Ich schalte ab, tanke auf, bekomme neue Kraft.
Nicht von ungefähr hat sich Jesus zurückgezogen, als ihm alles zu viel wurde. Kurz vor der Erzählung von der Speisung der Fünftausend heißt es im Matthäus-Evangelium: „Jesus fuhr mit dem Boot zu einer abgelegenen Stelle, um allein zu sein.“ Er hatte gerade die Nachricht vom Tod Johannes des Täufers erhalten. Das muss ihn tief bewegt haben, und er nahm sich eine Auszeit. Ganz für sich allein, in einem Boot. Um Abstand zu gewinnen. Luft zu holen. Zur Besinnung zu kommen.
Lang hielt diese Pause allerdings nicht an: „Das Volk folgte ihm zu Fuß aus den Städten.“ Schnell kommt nach kleinen Fluchten der Alltag zurück. Und trotzdem: Manchmal bin ich anschließend verändert. Nach dem Blick aufs Meer. Dem Weg durch den Wald. Dem Erklimmen eines Berges. Ich fühle mich frischer, klarer. Durchgepustet. Die Probleme sind vielleicht nicht weg. Aber sie haben sich sortiert.
Nach solchen Wüstenerfahrungen hat schon manch einer sein Leben geändert, eine Entscheidung getroffen, ist verwandelt in den Alltag zurückgegangen. Christinnen und Christen erleben dann zuweilen diese besonderen Momente, in denen Gott ganz nahe bei ihnen zu sein scheint. Weil auch er plötzlich Raum hat.
Das Meer hält dafür ein besonderes Bild bereit: Wenn ich am Strand stehe und auf die untergehende Sonne blicke, dann läuft der Lichtweg, den die Sonne aussendet, vom Horizont genau auf mich zu. Das Licht kommt mir über das Meer in einer geraden Linie entgegen. Genau auf mich. Und auch, wenn ich weitergehe, folgt mir das Licht.