Man lebe in Zeiten, “wo wir uns umzingelt fühlen von dreisten Lügen”, sagte der Bundespräsident am Freitagabend. Er äußerte sich beim Festakt zum 75-jährigen Bestehen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnt zur Wahrhaftigkeit bei öffentlichem Reden und Schreiben. Dies sei gerade in der heutigen Zeit dringlich, sagte Steinmeier am Freitagabend in einem Video-Grußwort beim Festakt zum 75-jährigen Bestehen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Man lebe in Zeiten, “wo uns so vieles zutiefst deprimiert, was sich in öffentlicher Sprache artikuliert, wo wir uns umzingelt fühlen von dreisten Lügen, von ungehemmt verbreiteten Gerüchten und Beleidigungen, von übelster Nachrede und bösen Verdrehungen und Verfälschungen”, sagte der Bundespräsident.
Als Ermutigung in solchen Zeiten könne ein Briefwechsel von zwei früheren Akademie-Mitgliedern dienen, sagte Steinmeier. Er zitierte einen Satz aus einem Brief des Dichters Hans Magnus Enzensberger (1929-2022) an die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (1926-1973) vom Dezember 1962. Darin heißt es: “Wenn dich gar nichts mehr erheitert, greif in Gottes Namen zu dem Papier und der Maschine und zu den Wörtern und schreib alles was wahr ist auf.”
Als sich die Akademie vor 75 Jahren gegründet habe, “da waren die Zeiten noch nicht lange vorbei, als es eben nicht möglich gewesen war, in Deutschland gefahrlos zu sagen oder aufzuschreiben, was wahr ist”, sagte Steinmeier und fügte hinzu: “Die Zeit der Diktatur war ja nicht nur eine Zeit der Sprechverbote und der Zensur. Es war eine Zeit, die die Sprache zutiefst verdorben hatte, eine Zeit der Lügen, des Verschweigens und der Camouflage.”
Die Akademie als zivilgesellschaftliche Initiative habe die Freiheit des Sprechens und Schreibens als unverzichtbaren Ausdruck der Würde des Menschen begriffen. Es sei ihr in ihren Publikationen und öffentlichen Stellungnahmen darum gegangen, “Sensibilität für gute, unkorrumpierte Sprache immer neu zu wecken” und damit Demokratie und künstlerische Freiheit zu verteidigen, sagte der Bundespräsident.
Vor 75 Jahren hätten Schriftsteller nach der Nazi-Diktatur dem unzensierten Wort wieder zur Geltung verhelfen wollen, betonte Steinmeier. Ein “Ort des freien Gesprächs”, eine unabhängige Diskurs-Institution wurde gebraucht. Am 28. August 1949 – bewusst am 200. Geburtstag Goethes – wurde die Gründung der Akademie bei einem Festakt in der Frankfurter Paulskirche verkündet.
Die Akademie hat nach eigenen Angaben aktuell 194 Mitglieder. Zu ordentlichen Mitgliedern können Persönlichkeiten gewählt werden, “die der deutschen Sprache und der deutschen Literatur durch ihr Werk und ihr Wirken gedient haben”.
Das Jubiläum wurde am Freitagabend in der Orangerie Darmstadt unter Mitwirkung des “Ensemble Modern” mit einer literarisch-musikalischen Revue gefeiert. “Wir präsentieren uns selbstkritisch, aber auch im Bewusstsein einer reichen und anregenden Geschichte und Gegenwart”, erläuterte vorab Ingo Schulze, Präsident der Akademie.
Die Akademie verleiht insgesamt fünf Literaturpreise. An diesem Samstag (2. November) erhält der Lyriker Oswald Egger im Staatstheater Darmstadt den mit 50.000 Euro dotierten Georg-Büchner-Preis 2024. Außerdem wird dort der Ethnologe Karl-Heinz Kohl mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa geehrt, und die Essayistin Marie Luise Knott wird mit dem Johann-Heinrich-Merk-Preis ausgezeichnet. Diese beiden Auszeichnungen sind jeweils mit 20.000 Euro dotiert.