Was für ein Einstieg! Aber auch: Was für ein Showdown! Und erfreulicherweise überzeugt dazu auch noch der Rest des Films, der (große) Teil zwischen atmosphärischem Anfang und nervenaufreibendem Ende: Der “Tatort: Siebte Etage”, den die ARD am Sonntag, 24. November, um 20.15 Uhr ausstrahlt, ist ein intensives, aufschlussreiches und äußerst fesselndes Stück Fernsehen geworden. Das Krimidrama erzählt von einem Mord im Gewerbe der käuflichen Liebe.
Bloß, um Liebe geht es in dieser Story so ganz und gar nicht. Eher um deren Abwesenheit. Es sind heftige Schicksale, von denen dieser Kölner “Tatort” erzählt, man erfährt viel über das Leben von Sexarbeiterinnen. Etwa, dass 60 Prozent von ihnen unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Und doch kommt der Film ohne Larmoyanz oder erhobenen Zeigefinger aus, entwickelt Atmosphäre, Spannung und vor allem gegen Ende hin einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann.
Kölner Tatort: Was macht die Sexarbeiterinnen verdächtig?
Doch von Anfang an: Malik, der Haustechniker eines Eros-Centers, liegt tot vor seinem bisherigen Arbeitsort. Gefallen oder geschubst aus dem siebten Stock des Hochhauses, in dem Geschäftsführer Kneissler (Andre Eisermann) zahlreiche Zimmer an Prostituierte, aber auch an die Nageldesignerin Chiara (Sabrina Setlur) oder die Friseurin Kaja (Nuriye Jendroßek) vermietet. Letztere ist die Schwester des Toten und hatte zu diesem kein so unkompliziertes Verhältnis, wie sie es den Kommissaren Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) anfangs weiszumachen versucht. Doch auch die anderen Frauen mauern, geben wenig Einblick in ihre komplexen Beziehungen untereinander oder zur Kundschaft.

Bald fokussieren sich Story wie Ermittlungen auf das Trio Jasmin (Antonia Bill), Cosima (Senita Huskic) und Tani (Maddy Forst). Die drei Sexarbeiterinnen scheint etwas zu verbinden – macht sie das verdächtig, oder sind sie einfach nur miteinander befreundet? Tatsächlich ist wahre, bedingungslose Zuneigung ein seltenes Gut in diesem dunklen Krimidrama.
Geschrieben wurde das Drehbuch vom Autorenpaar Eva und Volker A. Zahn; die beiden sind oft Garanten für gute, gesellschaftspolitisch engagierte Fernsehstoffe. So auch hier. Die Schicksale der drei zentralen Frauenfiguren werden ausgeleuchtet, sogar mit appellativem Charakter: Jede von ihnen durchbricht einmal die imaginäre vierte Wand, blickt die Zuschauenden direkt an, um in einem kurzen Statement von ihrem Weg in die Prostitution, ihrer Sicht auf den Job zu erzählen.
Ballauf und Schenk werden zu Randfiguren
Zugleich bleibt “Siebte Etage” stets wuchtiges (Sozial-)Drama und auch fesselnder Kriminalfall – die Ermittler hingegen eher Randfiguren. Die Konkurrenz an nuanciert gezeichneten und hervorragend gespielten Figuren ist einfach sehr groß – wobei die hohe Dichte an bislang eher unbekannten oder aber zuletzt etwas in der Versenkung verschwundenen (Schauspiel-)Gesichtern wie Andre Eisermann oder Sabrina Setlur auffällt. Stellvertretend für die durchweg überzeugenden schauspielerischen Leistungen sei Antonia Bill genannt, die ihre Jasmin ambivalent, changierend, stimmig anlegt: sehr durchlässig und verletzlich, aber auch mit einer gefährlichen Unberechenbarkeit.
Regisseur Hüseyin Tabak, der bereits mit seiner Abschlussarbeit an der Filmakademie Wien, dem Integrations-Drama “Deine Schönheit ist nichts wert”, auf ganzer Linie überzeugen konnte, hat mit “Siebte Etage” einen starken, packenden “Tatort” geschaffen. Von größter Wichtigkeit dabei: die Gewerke Kamera, Schnitt und Musik, die eine beklemmende, nervöse und zugleich vorwärts drängende Atmosphäre schaffen. Aber auch Setdesign und Kostümbild tragen zum stimmigen Gesamtbild bei. Ein unbedingt sehenswerter, so aufrüttelnder wie spannender “Tatort” über das Leben einer ständigen Lüge, das Leben als Prostituierte – und das dabei entstehende toxische Gemisch aus Demütigung, (Selbst-)Verachtung und Rachegelüsten.