In schönster Sütterlin-Schrift übertrug die Schülerin Elisabeth 1937 ein Lobgedicht auf den Diktator Adolf Hitler in ihr Religions-Heft und bekam von ihrem Lehrer ein „Gut“. Rechts daneben brachte sie mit erkennbar weniger Mühe Psalm 1 zu Papier. Das Schulheft ist eines von 700 Exponaten der Ausstellung „Gelebte Reformation“, die seit zehn Jahren in der Gemarker Kirche in Wuppertal an die Barmer Theologische Erklärung erinnert. Die vor 90 Jahren, am 31. Mai 1934, durch die an diesem Ort tagende Synode verabschiedete Erklärung gilt als zentrales Dokument des Kampfes der Bekennenden Kirche gegen den Allmachtsanspruch der Nationalsozialisten.
Für den Theologen Martin Engels, der die 2014 eröffnete Schau konzipierte, ist Elisabeths Heft das Lieblingsexponat. Anhand der persönlichen Geschichte der Schülerin gelinge es besonders gut, über das komplexe Verhältnis von NS-Diktatur und Kirche ins Gespräch zu kommen. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen mit der Barmer Erklärung drei eng bedruckte Schreibmaschinenseiten mit „hochkonzentrierter Theologie“, wie Engels sagt. Diese „anfassbar“ zu machen, sei die große Herausforderung gewesen.
Betritt man die im Turmraum der Kirche eingebaute Schau, wird man von Porträts der Reformatoren Luther, Melanchthon, Zwingli und Calvin begrüßt. Die Synodalen, die 1934 in Barmen zusammenkamen, hätten ihre Erklärung bewusst in die Tradition der Reformation gestellt, erklärt Engels, der heute Beauftragter der evangelischen Kirchen beim Land Nordrhein-Westfalen ist.
Die Schau beginnt mit der Situation der Kirche nach dem Ersten Weltkrieg und dem Untergang des Kaiserreichs. Kaisertreue und Distanz zur demokratischen Weimarer Republik sowie Antisemitismus waren bei Protestanten weit verbreitet. Mit historischen Filmaufnahmen und Fotos erklärt die Schau das politische Umfeld, in dem die Synode in Barmen tagte. Eine „Klangdusche“ konfrontiert Besucher mit Reden von Hitler und NS-Propagandaminister Goebbels.
Um die Stimmung unter den Synodalen widerzuspiegeln, sind die bei dem Treffen gesungenen Lieder zu hören. Engels hat sie von einem Chor einsingen lassen – Tonaufnahmen von damals existieren nicht. Eines der wenigen Originalobjekte ist die Schreibmaschine, auf der der Schüler Karl Immer, Sohn des gleichnamigen Gemarker Pfarrers, den Entwurf des historischen Dokuments tippte. Die Erklärung selbst mit ihren sechs Thesen wird als Kopie gezeigt, das Original liegt gut verwahrt im Archiv der westfälischen Landeskirche in Bielefeld.
Auf die reformierte Gemarker Kirche fiel die Wahl als Tagungsort der Synode letztlich, weil die Gemeinde mit Karl Immer bereits „an vorderster Front“ der Bekenntnisbewegung gegen die NS-orientierten Deutschen Christen stand, erläutert der frühere rheinische Präses Manfred Rekowski. Doch seien die Synodalen überwiegend keine „lupenreinen Demokraten“ gewesen: Erst spät sei bei vielen „der Groschen gefallen“, dass die Nationalsozialisten ihren totalitären Anspruch auch auf die Kirche erhoben.
Die Barmer Theologische Erklärung konzentrierte sich auf die Abwehr von Übergriffen auf Bekenntnis und Organisation der Kirche. Leider habe die Synode kein Wort zur Verfolgung von Juden oder Sozialisten und Kommunisten gefunden, bedauert der Altpräses. Diese „fehlende siebte These“ löste nach 1945 die Hinwendung der evangelischen Kirche zur Übernahme von Verantwortung auch für die Gesellschaft aus, die in der Ausstellung etwa anhand der Kirchentagsbewegung thematisiert wird.
Der Tagungsort, die Gemarker Kirche, brannte im Zweiten Weltkrieg nieder und wurde wieder aufgebaut. In den 90er Jahren profilierte der Kirchenkreis Barmen das Gotteshaus als Citykirche: ein Café, eine Tagesstätte für Wohnungslose, ein Raum der Stille hielten Einzug. Man habe dies bewusst mit der sechsten Barmer These begründet, dass die Kirche „die Botschaft der freien Gnade Gottes auszurichten“ habe „an alles Volk“, sagt Rekowski, ehemaliger Superintendent in Barmen.
2002 entstand in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kirche die Bergische Synagoge, das Grundstück dafür überließ die rheinische Kirche der jüdischen Gemeinde kostenlos. Bis heute werde dort eine „aktive Nachbarschaft“ gelebt, betont der Altpräses. Damit habe man geholfen, jüdisches Leben wieder sichtbar zu machen und so der in der Barmer Erklärung fehlenden siebten These „Rechnung getragen“.
Das Interesse an der Ausstellung in der Gemarker Kirche sei auch zehn Jahre nach der Eröffnung ungebrochen, berichtet Projektleiterin Barbara Herfurth-Schlömer vom Kirchenkreis Wuppertal. Jährlich kommen rund 2.500 Besucher. Im Durchschnitt führen sie und zwei Ehrenamtliche zwei Gruppen pro Woche durch die Schau, darunter Schulklassen, Konfirmanden, Gemeindegruppen, Religionslehrer und Studierende. Auch Einzelgäste oder touristische Gruppen kommen – das Wuppertaler Stadtmarketing wirbt mit der historischen Stätte.
Durch kirchliche Partnerschaften interessieren sich auch Gäste aus den USA, Asien oder Afrika für die Barmer Erklärung. Manche Kirchen hätten selbst Bedrängung und Unterdrückung erfahren und dadurch auch einen emotionalen Zugang zum Thema, sagt Herfurth-Schlömer. In der Tradition von Barmen steht auch das gegen die Apartheid in Südafrika gerichtete Bekenntnis von Belhar aus dem Jahr 1982, das in der Schau vorgestellt wird.