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Studierende bangen um konservative Rabbinerausbildung in Potsdam

Die Ausbildung konservativer Rabbinerinnen und Rabbiner am Zacharias-Frankel-College hat Prestige – ist sie doch die einzige ihrer Art in Europa. Studierende sehen aktuell allerdings eine düstere Zukunft für das College.

Es ist das einzige Rabbinerseminar der konservativen jüdischen Masorti-Bewegung in Europa: das Potsdamer Zacharias-Frankel-College. Studierende und Absolventen befürchten jetzt eine Zerstörung der Ausbildungsstätte und Angriffe auf ihre religiöse Strömung. Hintergrund ist eine fristlose Entlassung der Leiterin Sandra Anusiewicz-Baer, wie Studierende und Ehemalige an den Vorstandsvorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, schreiben.

Die Stellungnahme ist auf den 10. März datiert und auf der Internetseite des Zacharias-Frankel-Colleges (ZFC) einsehbar. Anusiewicz-Baer bestätigte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) die fristlose Kündigung. Gründe dafür seien nicht genannt worden.

Die Berliner Gemeinde hatte Anfang 2023 die Trägerschaft für das Abraham-Geiger-Kolleg (liberal) und das ZFC (konservativ/Masorti) von der Leo-Baeck-Foundation übernommen. Beide Einrichtungen sind An-Institute der Universität Potsdam. Hintergrund waren Vorwürfe gegen Rabbiner Walter Homolka unter anderem wegen Machtmissbrauchs und weiteren Fehlverhaltens. Er bestreitet die Vorwürfe, ging gerichtlich gegen sie vor und zog sich von Ämtern in der jüdischen Gemeinschaft zurück.

Daher musste auch eine neue Lösung für die Rabbinerausbildung an beiden Instituten gefunden werden. Sie sind bundesweit die einzigen für ihre jeweiligen religiösen Richtungen. Masorti liegt zwischen Reform und Orthodoxie und verbindet Tradition mit modernem Leben. So wird zum Beispiel Wert auf Geschlechtergerechtigkeit gelegt.

Die Entlassung von Anusiewicz-Baer falle mitten in die Vorbereitung einer Ordination, heißt es in der Stellungnahme. Geplant sind für den 29. Mai Ordinationen von zwei Personen, die damit in ihr Amt als Rabbiner und Rabbinerin berufen werden. Hinzu komme, dass die Berliner Gemeinde nicht das Partnerinstitut des Colleges, die Ziegler School of Rabbinic Studies in den USA, oder andere Organisationen für Masorti konsultiert habe. Die Unterzeichnenden unterstreichen in ihrem Schreiben Leistungen von Anusiewicz-Baer für das College und das Wohl der Studierenden.

Sie fordern ihre sofortige Wiedereinstellung und lehnen die Ernennung einer Interimsdirektion ab. Die “religiöse Freiheit und Autonomie des konservativen Judentums” müssten wiederhergestellt, ein Schaden für das Rabbinerseminar müsse behoben werden. Studierende und Ehrenamtliche werfen der Berliner Gemeinde wenig Respekt vor. Sie habe nicht mit Studierenden gesprochen.

“Obwohl die Jüdische Gemeinde zu Berlin versprochen hatte, nicht in die internen Regelungen der Rabbinerseminare und die Autonomie der jüdischen Strömungen einzugreifen, tut sie genau das – mit zerstörerischen Folgen für die Ausbildung von Rabbinerinnen und Rabbinern in Deutschland”, so die Stellungnahme.

Anfang März hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland bekanntgegeben, eine Stiftung als Trägerin der Ausbildung für das Geiger-Kolleg und das Frankel-College auf den Weg gebracht zu haben. Die staatlichen Geldgeber – Bundesinnenministerium, Brandenburger Wissenschaftsministerium und Kultusministerkonferenz – hatten Anfang März in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Zentralrat die Stiftungspläne begrüßt. Allerdings wurde auch Kritik laut an den Plänen des Zentralrats, die gegen die Trägerschaft der Berliner Gemeinde stehen.

Die Gemeinde teilte auf KNA-Anfrage mit, dass sie sich hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Vorgänge um Anusiewicz-Baer “aus nachvollziehbaren juristischen Gründen” nicht öffentlich äußern dürfe. Seit der Übernahme des ZFC sei die Gemeinde erfolgreich dabei, Strukturen zu optimieren und das College zukunftsfähig zu gestalten. Man werde “zeitnah auch weitere Kontakte mit den relevanten Vertretern und Vertreterinnen des konservativen Judentums nutzen”. Für den 12. März sei ein Gespräch von Joffe mit Studierenden geplant gewesen. Wegen des Streiks bei der Bahn habe es auf nächste Woche verschoben werden müssen. Der Zentralrat habe versucht, diese Gespräche immer wieder zu behindern.

“Unser Ziel ist es, in konstruktiven Gesprächen mit allen Beteiligten und den Zuwendungsgebern zeitnah eine konstruktive Lösung des Streits zu erreichen”, so Joffe. Diese Lösung müsse die religiöse Unabhängigkeit und Autonomie des konservativen Judentums weiter erhalten und sichern. “Wir sind bereit, unsere Konzeption transparent zu diskutieren.” Im Vordergrund stehe dabei, den Studierenden mit Hilfe der Zuwendungsgeber ein College zu garantieren, “das solide finanziert und unabhängig von äußeren Einflüssen die Werte des konservativen Judentums vermitteln kann”.

Der Zentralrat erklärte auf KNA-Anfrage, dass er auf Vorgänge am Zacharias-Frankel-College keinen Einfluss habe. Die Entlassung von Anusiewicz-Baer sei unter anderem Thema eines Gespräches zwischen den Spitzen des Zentralrats und Studierenden von ZFC und AGK am Dienstag gewesen. “Darüber hinaus gab es einen guten Austausch zur Zukunft der Rabbinats- und Kantoratsausbildung in Potsdam und dem Weg zur Trägerschaft einer religionsgemeinschaftlichen Stiftung.” Die Perspektive der Studierenden sei “für den Neuaufbau von großer Wichtigkeit und muss auch in der kommenden Struktur gehört werden”.